Rock Meets Classic (03.03.2019, Frankfurt)

rockmeetsclassic tourplakatVerbindungen von Rock und klassischer Musik gab es schon vor langer Zeit, Ende der Sechziger experimentierten Bands schon damit. In den Achtzigern gab es ein paar Platten der Wiener Symphoniker, die Rocksongs mit Orchester nachspielten und in Deutschland später ein paar Gehversuche auf der Bühne. Das Tourprogramm ROCK MEETS CLASSIC tauchte dann 2010 zum ersten Mal auf und ist im Gegensatz zu vielen Projekten zuvor zum Dauerbrenner in den Konzerthallen geworden. Mat Sinner und seine Band fanden klassische Musiker, mit denen er seine Vision umsetzen konnte und den Fans alljährlich ein Spektakel beschert, zu dem er stets eine Handvoll Gäste lädt. Bisher hat es der Verfasser dieser Zeilen noch zu keinem dieser Aufführungen geschafft, doch das Mitwirken von Musikern aus REO SPEEDWAGON, DEEP PURPLE, LOVERBOY, SWEET und THIN LIZZY konnte er sich nicht entgehen lassen. Für NECKBREAKER schlug er in der schönen Jahrhunderthalle in Frankfurt auf, um sich sein Bild von der zehnten Jubiläumsausgabe zu machen.

Wie gehabt setzen MAT SINNER auf einen großen Headliner, den dieses Mal Ian Gillan gab, sowie unermüdlich Tourende wie Andy Scott, Pete Lincoln, Ricky Warwick und Scott Gorham und nur selten zu sehende Legenden wie Mike Reno und Kevin Cronin. Dazu gibt es ein paar Überraschungen, doch dazu später mehr. Erst einmal hieß es auf den Parkplatz zu kommen, der scheinbar überfüllt schien, bis den Verantwortlichen auffiel, dass man westlich der Halle noch viele frei hatte. Leute, ihr macht das doch nicht zum ersten Mal und wenn die Halle nicht bestuhlt ist, kommen sogar noch mehr Leute. Die Linienbusse in dem daraus resultierenden Stau haben sich bestimmt gefreut.

Da wirkte es drinnen doch schon weitaus professioneller, die Bühne war mit einem Vorhang abgedeckt, auf den ein paar Projektionen fielen. Als Punkt Acht das Licht ausging saßen die Orchestermusiker schon und spielten sich ein. Als der Vorhang fiel gaben sie ein Potpourri aus verschiedenen Melodien, die im Rahmen der Reihe schon gespielt wurden zum Besten. Gegen dessen Ende kamen die Backgroundsänger auf die Bühne und stimmten in den Refrain von „Hotel California“ mit ein. Derweil liefen alle Namen der bisherigen Gäste über die große Leinwand hinter der Bühne, ebenso Bilder von Rick Parfitt, John Wetton und Jimi Jamison, denjenigen, die mittlerweile das Gebäude verlassen haben.

Schon da wurde klar, was für ein Sounderlebnis den vollbesetzten Kuppelbau erwarten würde. Ungemein druckvoll und glasklar war das, was da aus den Boxen kam, und mit Hinzunahme des Rockinstrumentariums sollte sich daran nichts ändern. Vielmehr schaffte man beides ausgewogen miteinander zu vermischen, so dass die orchestralen Elemente den Kompositionen etwas Neues gaben, diese aber nie verwässerten oder verfälschten. Mit der nun auftauchenden MAT SINNER BAND ließ man ein „Rock You Like A Hurricane“ vom Stapel, welches ja die SCORPIONS selbst einer klassischen Bearbeitung unterzogen. Hier durften sich die Chorsänger auch mal solistisch austoben, bevor sie wieder zurück ins zweite Glied beordert wurden.

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Denn mit Warwick und Gorham kamen zwei Bühnenexperten auf die Rampe, denen sie gerne wichen. Unter dem legendären Leadmotiv von „The Boys Are Back In Town“ gesellten sich die beiden hinzu und jenes Thema kam in der Fassung sehr überzeugend. Im Gegensatz zu anderen Orchesterversionen fügt der musikalische Leiter Sinner keine Partituren hinzu, sondern lässt dieses die Grundthemen intonieren, um ihnen eine neue Dynamik zu verleihen.
Während sich der gute Scott unter die anderen Gitarristen mischte, übernahm der frühere THE ALMIGHTY-Frontmann das Geschehen. Es war einfach diese raue, kantige irische Art, die den Sänger ausmacht, die kraftvolle Art, wie er sich in die Posen warf. Natürlich suchte auch er den Kontakt zu den Kollegen, so dass es bei den Soli zur ersten schönen Aufreihung am vorderen Bühnenrand kam, so verkam der Abend nie zur Egoshow.

Mit „Waiting For An Alibi“ und „Don´t Believe A Word“ kamen zwei THIN LIZZY-Stücke zum Zuge, die ich weniger auf der Rechnung hatte, doch vor allem bei Letzterem wirkten die klassisch interpretierten Melodien sehr passend. Im Zweiten Teil ließ man die Trompeten das Sirenenintro von „Jailbreak“ übernehmen, während man dem rockigen Stück weniger Neues entlocken konnte. Den ersten großen Mitsingmoment gab es beim abschließenden „Whiskey In The Jar“, welches Warwick mit der Akustischen begleitete. Dazu lebte diese Nummer in der Version förmlich auf und riss die Leute von den Sitzen. Der hauptberufliche BLACK STAR RIDERS-Sänger dirigierte die Zuschauer nach Belieben und brach so komplett den Bann.

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Denn in der ersten Hälfte, bei der jede Band wie auch in der zweiten, zwei Stücke aufführen durfte, waren die Reaktionen nicht so überschwänglich. Scheinbar brauchte das schon betagte Publikum ein wenig Aufwärmzeit, das bekam auch Mike Reno zu spüren. Dabei war es vielleicht auch die Songauswahl, die mit „Almost Paradise“ auch einen Solosong von Reno enthielt, den er seinerzeit mit Ann Wilson für den Soundtrack von „Footloose“ einsang. Da wäre als Filmballade eindeutig „Heaven In Your Eyes“ aus „Top Gun“ besser gewesen.
Dafür wusste das Synthesizermotiv von „Working For The Weekeend“ in der Fassung seine Wirkung voll zu entfalten, kaum ein Song eignete sich besser dafür. Ein weiteres Manko war aber auch die stimmliche Schwäche des mittlerweile körperlich sehr umfangreichen Vokalisten, der die hohen Töne nicht mal ansatzweise schaffte. Mit Jeans und Sakko, sowie Spiegelsonnenbrille zeigte er sich zumindest outfittechnisch absolut Achtziger-kompatibel.

Im zweiten Part konnte zwar direkt „Lovin´ Every Minute Of It“ da locker einen drauf setzen, zumal auch hier das Riff im Refrain genial von Geigen und Bläsern performt wurde. Doch beim absoluten Hit wäre es vielleicht besser gewesen, einem Sascha Krebs etwas mehr Platz einzuräumen, der in ganz andere Lagen kommt, zumal der Backgroundchor auch so aushelfen musste. Das konnte die Stimmung glücklicherweise nicht schmälern, zu lange haben viele darauf gewartet, die anschwellende Synthfläche, den prägnanten Basslauf und dieses krachende, breite Riff wieder live zu hören. So stand dann auch der ganze Saal und schmetterte den Stampfer „Turn Me Loose“ aus voller Kehle mit.

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SWEET hatten bei dem Publikum einen sehr guten Stand und wurden mächtig abgefeiert, meine persönlichen Favoriten waren sie hingegen nicht. Da darf man auch nicht verhehlen, dass ihre Songs von der klassischen Bearbeitung am wenigsten profitierten, gerade die flotten Stücke wirken zu hektisch, als dass man ihnen da etwas Besonderes mitgeben könnte. Anstatt eines „Action“, „Blockbuster“ oder „Ballroom Blitz“ hätte sich „Love Is Like Oxygen“ deutlich mehr angeboten, vor allem das Intro. Am Ende war es dann die Hymne „Fox On The Run“, welche hier das Umarrangieren sinnvoll gestaltete und auch die lautesten Reaktionen und Singalongs erntete.

Doch das Auftreten von Pete Lincoln und Andy Scott war sehr stark, man merkte ihnen an, wie sehr sie es genossen vor so einem großen Publikum zu spielen. Überhaupt war die Spielfreude allen Beteiligten anzusehen, da wurde gelacht und miteinander gescherzt und auch die Musik mit Hingabe zelebriert. Überraschenderweise überließen auch die jeweiligen Gastgitarristen Tom Naumann und Alex Beyrodt einige Soli, welche vor allem Naumann mit diebischer Freude zockte. Jeder auf der Bühne hatte sichtlichen Spaß, was sich im blinden Verständnis der so zuvor nie zusammen aufgetretenen Musiker äußerte.

Das übertrug sich auf alle und das Auditorium, sogar die Orchestermusiker sah man öfter im Rocktakt mitwippen, wenn ihre Instrumente gerade nicht benötigt wurden. Es ist sicherlich von Vorteil, dass die Damen und Herren eine gewisse Affinität zu dem Thema haben, sogar der neue Dirigent Mario Gebert animierte immer wieder die Leute. Die Produktion fuhr ohnehin auf, was man heute rausholen kann, das Licht tauchte die Bühne in schöne Farben, die Spotlights umspielten die gerade präsenten Musiker. Ein paar Feuer – und Nebelfontänen sorgten für zusätzliche Schauwerte, die eigentlich nicht nötig gewesen wären.

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Als heimlicher Headliner entwickelte sich dann Kevin Cronin, der topfit auf die Bühne hüpfte, seine fast siebzig Jahre sah man ihm wahrlich nicht an. Superschlank, fast drahtig war er ein Ausbund an Energie, was sich auch auf seine Performance auswirkte. Stimmlich war er topfit, bei ihm saßen dann auch alle Höhen perfekt. Und seine Entertainerqualitäten sind unglaublich, von der Ausstrahlung kann sich heute noch jeder Rockshouter etwas abschneiden. Wie er mit Keyboarder Jimmy Kresic seine Späße trieb, wie er auf die Menge einging, ganz großes Rocklehrbuch. Er schien die gute Laune des gesamten Ensembles alleine zu haben, keine Ahnung warum er jetzt erst dabei war.

Als er mit der umgehängten Klampfe auf die Bühne kam, war natürlich klar, dass die Stunde des unfassbaren „Take It On The Run“ geschlagen hatte. Und hier übernahm dann Beyrodt das Solo, die signifikanten ließ er sich nicht nehmen. Der Refrain hallte durch die Kuppel, und wurde von vielen mitgesungen, ein erster Höhepunkt des Abends. Und als das Piano im Anschluss noch „Can´t Fight This Feeling“ ankündigte, war natürlich eher die Tränendrüse der Adressat, das Fach beherrschen REO SPEEDWAGON besser als alle anderen.
Man nahm ihm alles ab, das Lob für die Mitmusiker ebenso wie die Widmung des kurz angespielten „Keep The Fire Burning“ für die deutschen Fans. Gerockt wurde auch bei ihm, „Roll With The Changes“ gab allen die Möglichkeit solistisch zu glänzen. Wobei es etwas schade war, dass der tolle Jimmy Kresic keine Hammond am Start hatte, aus seinem Roland Jupiter-80 klang es etwas klinisch. Am Ende gab es noch das obligatorische „Keep On Loving You“, wieder vom Piano eingeleitet, von vielen Zuschauern laut zelebriert und natürlich nochmal Taschentuchalarm.

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Eine Pause gab es dieses Mal nicht, stattdessen wurden zwei und drei viertel Stunden durchgespielt. Zwischen den beiden Blöcken durfte das RMC Symphony Orchestra auch mal seine klassische Seite stärker betonen. Beim „Schwan“ aus dem „Karneval Der Tiere“ von Camille Saint-Saens saß die einzig weiß gekleidete Musikerin vorne und spielte ein wunderbares Solo-Cello. Und nach dem Auftritt des Musicalstars Anna Maria Kaufmann gab es noch eine gelungene Darbietung des ersten Marschs von „Pomp And Circumstance“.

Kaufmann war als Special Guest geladen und lieferte eine sehr von klassischem Gesang geprägte, rein vom Orchester gespieltes Cover von „The Last Unicorn“. AMERICA hatten das Lied einst für den gleichnamigen Zeichentrickklassiker geschrieben. Zusammen mit Pete Lincoln brachte sie dann noch die Emotionen von „The Phantom Of The Opera“ ein, bei welchem der SWEET-Mann mit seiner Theatralik zu überraschen vermochte. Und am Ende war es dem guten Mat und seinen Leuten vergönnt, den WHITESNAKE-Klassiker „Here I Go Again“ zu interpretieren.

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Nachdem alle Acts ihre zwei Auftritte absolviert hatten, war die Zeit für den Headliner gekommen, Ian Gillan, Gentleman und Kumpel zugleich zog schon nach einem Song das Jacket aus, so gut war die Halle vorgeheizt. Und da hat sich einer richtig Gedanken gemacht, welche Lieder mit Orchester funktionieren, auch wenn man zu Beginn natürlich erst einmal die Standards „Highway Star“ und „Black Night“ spielte. Hier war vor allem der gute Alex an der Strat voll in seinem Element und brachte Blackmores Soli sehr originalgetreu dar. So unauffällig er die ganze Zeit auf der rechten Seite agierte, nun ließ er die Finger über die Saiten fliegen. Ian Gillan gefiel das, auch wenn sich der Mann selbst nicht mit launigen Entertainment zurück hielt.

Mit „Anya“ hätten die wenigsten gerechnet, ist es doch eine klare Blackmore-Nummer. Doch dieses Zigeunerthema, dem sich auch der Frontmann verpflichtet fühlt, wurde vom klassischen Instrumentarium perfekt in Szene gesetzt, genau für solche Momente war man gekommen. Im Anschluss wurde „When I Blind Man Cries“ sanfter, aber nicht weniger gekonnt unterlegt, bevor „Perfect Strangers“ noch einmal die ganze Klasse dieses Aufgebots unter Beweis stellte. Nicht nur diese an die Klassik angelehnten Staccato, vor allem wie die klassischen Musiker die Dynamik der Strophe zum Refrain hin ansteigen ließen, bevor sich dieser weit öffnete, war absolut phänomenal.

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„Hush“ gab dann eher den Chorsängern die Chance auf sich aufmerksam zu machen, doch auch das Publikum fiel in das „Nanana“-Thema ein. Die Stimmung war da auf dem Höhepunkt, auf seinem Platz saß schon lange keiner mehr. Und das wohl bekannteste Riff der Rockgeschichte macht sich auch mit Blas – und Streichinstrumenten sehr gut. Ian Gillan hatte da fast schon Feierabend, seine immer noch vorhandenen Fähigkeiten waren demonstrier, er ist immer noch eine Identifikationsfigur des Rock.
So übernahmen beim Finale die übrigen Acts die Gesangspassagen, wobei Ricky Warwick „Smoke On The Water“ Rotzigkeit verlieh und die Kaufmann das gewisse Etwas. Damit ging das Spektakel mit einem tollen Miteinander zu Ende, ein Fest welches alle Sinne zu aktivieren weiß. Die Wucht des Orchesters und die Härte der Rockmusik gingen eine perfekte Symbiose ein. Das Thema ROCK MEETS CLASSIC hat endlich ein Vehikel gefunden, welches über Jahre hinweg hohe Qualität sichert, auf die nächsten zehn Ausgaben. (Pfälzer)

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