Anathema + Alcest (18.11.2017, Esch-Sur-Alzette)

live 20171118 01 anathemaKonzerte, auf die man sich wirklich noch von Herzen freut, wurden und werden im Laufe der Zeit immer rarer, eines, welches ich mit Spannung erwartete, war der Gig der britischen Band ANATHEMA in der „guten“ Kufa – damit ist die im luxemburgischen Esch-Sur-Alzette gemeint. Eine gewisse Spannung lag im Vorfeld insofern in der Luft, dass man bei ANATHEMA vorher nie so ganz genau weiß, was man nun bekommt und zudem wollte ich natürlich wissen, wie die neuen „The Optimist“ Songs live taugen würden, denn das vor einigen Monaten veröffentlichte elfte Anathema Studiowerk ist, sagen wir es vorsichtig, aufgrund seines konzeptionellen Charakters nicht unbedingt prädestiniert für die großen Bühnen der Welt.

Nachdem ich nach einstündiger Fahrt Samstagabends in Esch angekommen war, durfte man dann pünktlich zum Einlass auf dem Weg zur Kufa feststellen, dass es angefangen hat zu regnen. An sich nichts schlimmes, wenn man nicht sowieso schon den ganzen Tag auf Regen gewartet hätte, nur gestaltete sich der Einlass einmal mehr in der Kulturfabrik als etwas langwieriges Prozedere, hier gibt es sicherlich noch Potential zum Optimieren. Gleiches gilt für die Garderobe.

ALCEST

Umgekehrt hatte das den Vorteil, dass es als man endlich drin war in der zweckdienlichen Halle, auch ratzfatz und pünktlich mit dem Support losging. Das waren wie angekündigt ALCEST aus dem französischen Avignon, die zumindest ein halbes Heimspiel hatten, weil sie guten Gewissens französisch sprechen konnten. Dumm dann halt nur, wenn man als "Deutscher" zu diesem Konzert fährt und kaum ein Wort versteht, weil man das Genuschel von Neige gleich im doppelten Wortsinne nicht verstehen konnte. Ok, sagen wir es ist mein Fehler gewesen, außerdem war man ja vor Ort, um Musik zu hören und in der Hinsicht präsentierten sich ALCEST als herausragend gute Supportband.

Zu den Songs selber kann ich jetzt gar nicht so viel sagen, da ich bis dato nie dazu gekommen bin, mich eindringlicher mit ALCEST auseinander zu setzen, obwohl ich das eigentlich immer wollte, man kann aber sagen, dass die Band um „Neige“ und „Winterhalter“ mit ihrem von vielen Genres geprägten progressiven Düstermetal prima zu ANATHEMA passten. ANATHEMA Fans, welche den Zeiten um „The Silent Enigma“ und früher nachtrauern, zu denen ich zum Beispiel überhaupt nicht gehöre, dürften sich bei dem recht heftigen Material von ALCEST durchaus wohl gefühlt haben.
Besonders positiv fällt bei ALCEST auf, dass die Band technisch auf einem sehr guten Niveau agiert, das gilt natürlich insbesondere für die beiden Hauptdarsteller an Gitarre, Gesang und Schlagzeug und dass sie fast in jeden der gespielten Songs eine große Portion Epik und Spannung reinlegt.

Die zumeist längeren Songs haben meistens auch einen schönen Spannungsbogen und verlieren nur selten den Leitfaden, selbst wenn man das Material kaum kannte, konnte man sich damit direkt wohlfühlen. Weniger gelungen finde ich hingegen die wenigen Klargesangpassagen, da stößt jemand wie Neige dann schnell an seine Grenzen, das lag vielleicht aber auch daran, dass der Gesang im gesamten Gefüge etwas zu sehr im Hintergrund stand, insgesamt war der Sound aber sowohl bei ALCEST als auch später bei ANATHEMA in Ordnung.

Besonders lobenswert gestaltete sich die Spielzeit von ALCEST. Als man nach 40 Minuten dachte, jetzt müsste so langsam aber sicher einmal Schluss sein, konnten die Franzosen nochmals 2 Songs und 20 weitere Minuten drauflegen. Nur eine Supportband, die dafür dann aber eine volle Stunde spielen darf, finde ich ein sehr angenehmes Konzept. Kein Wunder, dass ALCEST nicht nur nach den einzelnen Songs, sondern auch nach dem letzten Song „Delivrance“ mit gebührendem Applaus bedacht wurde, den eigenen Abschied von der Bühne hatte Neige aber auch ganz schön inszeniert.

 

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ANATHEMA
Was steht nach der Vorband erst einmal obligatorisch an? Die Umbaupause! Diese dauerte etwa die üblichen 30 Minuten und dann startete die etwa 130-minütige Reise durch die letzten 10 Jahre ANATHEMA mit dem Intro des neuen Albums sowie mit dem Instrumental "San Francisco". So weit, so einigrmaßen vorhersehbar. Nachdem ich irgendwo im Internet vorher ein Zitat von einem enttäuschten Fan gelesen hatte, dass ANATHEMA auf dieser Tour lediglich das komplette „The Optimist“ sowie sehr viel vom Albumvorgänger „Distant Sattelites“ spielen würden, hatte ich eigentlich erwartet, dass ANATHEMA gleich mit „Leave It All Behind“ nachlegen würden, aber irgendwie sollte es dann etwas anders kommen und ich frage mich noch heute, auf welchem Konzert dieser Tour die angesprochene Person angeblich gewesen sein mag.

Ok, ANATHEMA spielten gerade am Anfang ein paar Sachen vom „The Optimist“ Album, letzten Endes aber deutlich weniger als eigentlich erwartet. Interessant war dabei die Tatsache, dass man die beiden Songs, namentlich „Back To The Start“ sowie „Leave It All Behind“, die sich noch am ehesten eignen würden, gar nicht spielte, wohingegen man mit dem eher lähmenden „Can’t Let Go“ startete, was so in etwa der letzte Songs von „The Optimist“ ist, den ich als Opener erwartet hätte. Nun denn, so richtig los ging es sowieso dann erst mit „Endless Ways“, denn von da an war auch Lee Douglas auf der Bühne, wahrlich das größte Geschenk, was sich die Band selber und uns allen machen konnte. Woher diese eher unscheinbare und introvertierte Person diese wunderschöne Stimme hernimmt, ich weiß es nicht, mögen es vielleicht die Engel wissen.

Nicht dabei war übrigens John Douglas bei dieser Tour, der zu Hause Kind/Kinder hüten wollte oder musste, das wiederum ist dann natürlich für den Gesamtsound der Band nicht ganz optimal, denn erstens klingen ANATHEMA besser, wenn John Douglas und nicht Daniel Cardoso Schlagzeug spielt und zweitens fehlte Daniel Cardoso dann natürlich als zusätzlicher Keyboarder, so dass sich Vincent Cavanagh zeitweise doch ganz schön lange hinter der Keyboardburg im Hintergrund zurückziehen musste und mit Sicherheit auch einiges mehr als sonst vom Band und nicht von der Band gespielt wurde. Dabei hielt sich alles noch im Rahmen, aber trotzdem sollte es schon bei einem Livekonzert ein anzustrebender Zustand sein, dass maximal Intro und Outro nicht live gespielt werden. Und da ich gerade bei der Rollenverteilung innerhalb der Band bin, Daniel Cavanagh, der in letzter Zeit ganz schön, sagen wir mal nett ausgdrückt „kräftig“, geworden ist, wird mehr und mehr zum Alleinunterhalter der Band und so viele lustige und ironische Ansagen wie dieses Mal, hat er früher noch nicht gebracht. ANATHEMA goes Entertainment sozusagen!

Zurück zum Programm hatte man als Zuschauer nach dem ersten „The Optimist“ Block, bei dem das Titelstück positiv hervorstich, den Eindruck, dass danach alles erlaubt schien, solange es nach 2000 entstanden ist. Das bedeutet, von knapp 20 Songs kam keiner von „Judgement“ und auch keiner von „Alternative 4“ zum Zuge, das dürften innerhalb der Fanszene wohl die beiden Konsensalben sein, die den Übergang der „alten“ ANATHEMA zu den „neuen“ ANATHEMA besonders prägten.

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Nun denn, fast gleichberechtigt zum „The Optimist“ Album stand an diesem Abend das „A Fine Day To Exit“ Album, das mit „Panic“, „Pressure“, „Barriers“ und „Looking Outside Inside“ bedacht wurde, wer diese Zeilen genau liest, wird feststellen, dass „Temporary Peace“ als eigentlicher Pflichtbaustein dieses Albums fehlt. Also die sichere Nummer war der europäische Tourabschluss mit Sicherheit nicht. Als weiteres Highlight im Laufe der gut zwei Stunden gestaltete sich das längere Doppelpack „A Simple Mistake“ und „The Beginning And The End“, auch das neue Stück „Springfield“ kommt live wahnsinnig emotional rüber. Die etwas elektronischeren Sachen wie „Universal“ und die erste Hälfte von „Distant Satellites“ werden mich hingegen in Liveform nie so richtig begeistern können, wobei die zweite Hälfte von „Distant Satellites“ wiederum richtig gut funktioniert.

Das wahre Glanzlicht hoben sich ANATHEMA aber bis ganz zum Schluss auf, als jeder eigentlich nur noch auf „Fragile Dreams“ wartete, spielten ANATHEMA einfach beide Teile von „Untouchable“, bei denen Lee Douglas erneut für Gänsehaut sorgen konnte, wobei auch Vincent gesanglich eine guten Tag erwischt hatte. Interessant übrigens, dass „Untouchable Part 2“ auch in einer Reggae Version funktioniert, ein zutiefst melancholisches Stück fröhlich zu präsentieren, das muss man erst einmal hinbekommen. Dabei und dann kurz darauf später beim „Highway To Hell“ Outro (von AC/DC - muss man das eigentlich als Redakteur pflichtbewusst erwähnen?) war dann Party angesagt, wenngleich das geschmackssicher gewählte Outro sowie das zwischendurch kurz vorgetragene Instrumental zu „Hells Bells“ einen ernsthafteren Hintergrund hatte, im Laufe des Nachmittags und Abends verbreitete sich die Nachricht, dass man über Malcolm Young fortan ebenfalls die drei Worte sagen muss: „Rest In Peace“.

Wie eingangs erwähnt, man weiß bei ANATHEMA nie so ganz genau, was man bekommt. Ich hätte auch nie im Leben gedacht, dass man glücklich und zufrieden nach einem ANATHEMA Konzert nach Hause fahren kann, wenn die Band weder „Fragile Dreams“ noch „Flying“ noch „A Natural Disaster“ gespielt hat. Das ist eigentlich eine Todsünde, die Quadratur des Kreises, aber die Briten haben es irgendwie geschafft. Danke dafür! (Maik)

(Fotos: Anne)

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