Anathema - Distant Satellites

 

Anathema - Distant Satellites

mehrfach-soloFreunde, es kam der Tag, den ich so fürchtete. Ihr kennt das vielleicht: Eine eurer Herzensbands bringt ein langerwartetes, neues Werk heraus und hinterlässt euch dann im ersten Moment erst einmal ratlos und enttäuscht zurück. Bevor ich weiter hierauf eingehe, geh ich aber zuvor meiner Chronistenpflicht nach:
ANATHEMA haben sich zweifellos in den letzten Jahren mit ihren großartigen Alben eine absolute Marke im Progressive Rock gesetzt und wissen Fans über die Genre-Grenzen hinaus zu begeistern. "Distant Satellites" markiert nun das zehnte Studio-Album in der durchaus bewegten Bandgeschichte der Briten und lotet nun auch die internen musikalischen Grenzen um weitere Elemente aus - und das machte mir persönlich erst einmal zu schaffen. Aber letzten Endes wird dann doch (fast) alles gut.

Der Reihe nach: Gleich beim Eröffnungsdoppel "The Lost Song Pt.1/2" fühle ich mich zu sehr an den Beginn der "Weather Systems"-Scheibe erinnert: Wie beim zweigeteilten "Untouchable" wird in Teil Eins auf einem (dieses Mal eher) proggigen Grundkonstrukt mit Vincent und Lee die dramatische Steigerung gebaut, die dann zusammenbricht und in Teil Zwo wieder von Lee, begleitet von Pianoklängen, aufgenommen wird. Leichtes Stirnrunzeln meinerseits - wie gesagt: Exakt diese Abfolge hat man bereits auf der vorherigen Platte verwendet. Fällt ANATHEMA etwa nichts mehr Neues ein? Es sind beides sehr gute und sehr emotionale Songs, ohne Frage. Aber die Parallelen zum Vorgänger fand ich dann doch im ersten Moment zu frappierend. Die Angst vor kreativem Stillstand war aber umsonst: Im Verlauf von "Distant Satellites" würde diese Befürchtung von Song zu Song nachhaltig entkräftet werden.
Das im ersten Moment noch relativ unscheinbare "Dusk (Dark Is Descending)" bietet beim genauerer Betrachtung ebenso über sechs Minuten eine emotionale Achterbahnfahrt, die erst mit der Zeit wächst - aber auch hier brauchte ich meine Zeit, den Song so richtig ergreifen zu können. Der erste, richtig große Moment der Erhellung und der absoluten Gänsehaut bescherte mir dann "Ariel" - das Duett Lee/Vincent ist tatsächlich nahezu unschlagbar! Neben dem Gesang sind die zarten Pianoklänge, die Streicher und die Dramatik in diesem Song so großartig, dass es mir wirklich die Sprache verschlägt. Besser kann man das einfach nicht machen!
Ein wenig ernüchternder wirkt dann der nachfolgende "The Lost Song Pt.3", der im Groben den progressiven Touch von Pt.1 wieder aufnimmt, aber insgesamt recht höhepunktlos geraten ist. Dafür dann aber der nächste Knüller: "Anathema" kann man getrost als Tribut und Selbsthuldigung der Band an sich selbst betiteln. Wieder großes, orchestrales Drama, ein wahnsinnig toll singender Vince und ein erneut gekonnt-wuchtiger Klimax, der seinesgleichen sucht - SO müssen ANATHEMA klingen!

Im letzten Drittel der Platte treten dann die eingangs erwähnten stilistischen Weiterentwicklungen zutage: ANATHEMA experimentieren mit elektronischen Beats, was mal mehr, mal weniger gelingt: Die Drum´n´Bass-Beats bei "You´re Not Alone" sind jedenfalls eine Nervenprobe - diese Art von Hektik birgt zwar eine zusätzliche Facette auf dieser Scheibe, aber geht mir recht schnell auf den Zeiger. Besser machen es die Liverpooler dann beim Titeltrack: Eingeleitet von pinkfloydschen, sphärischen Orgelklängen bei "Firelight" baut sich auf einem reduzierten Rhythmus und fast schon tribal-artigem Drumming ein Song der Extraklasse auf - das gefällt schon besser! "Take Shelter" zum Abschluss benutzt neben den typischen ANATHEMA-Trademarks wie Streichern erneut den Beat aus der Konserve, der sich dann Mitte des Tracks aufbauscht und fast schon tanzbar wird. Auch hier würde ich das "Gelungen-Siegel" ans Revers heften.

Fazit: Ich hatte mit "Distant Satellites" lange meine Probleme, wollte wie schon einige meiner Kollegen eine Note unterhalb der "7" zücken, habe mich jedoch mit einiges an Geduld und (Ohren-)Spucke in das Werk hineingearbeitet und kann letztendlich doch mal wieder nur den Hut vor dieser Ausnahmeband ziehen. Die Schwachpunkte reduzieren meine sonstige Neuner-Wertung um eine Stufe nach unten und dennoch ist "Distant Satellites" gerade ob der Höhepunkte ein großes Werk geworden.
Jetzt stellen sich mir zwei Fragen: Wie bringen ANATHEMA die elektronischen Songs in ihre Live-Shows unter, und: Inwiefern werden diese Elemente weiterhin Bestandteil des Sounds der Band sein? ANATHEMA halten es äußerst spannend. (Brix)

Bewertung: 8 / 10


Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 56:44 min
Label: Kscope Records
Veröffentlichungstermin: 06.06.2014

Wertung der Redaktion
Andreas Jannick Anne Dennis  Katharina  Pfälzer Maik
6 9 7,5 8,5  6 7,5  8,5
Kategorie: Gruppenzwang