Dream Theater - Dream Theater

Mehrfach-Wertungder Redaktion

dreamtheater dreamtheaterEs wurde am Ende doch eine Schlammschlacht! Als Mike Portnoy vor drei Jahren seinen Drumhocker bei den New Yorkern räumte, da die Truppe die von ihm gewünschte Pause nicht einlegte, wünschten sich noch beide Seiten alles Gute für die Zukunft. Mittlerweile gibt es viel böses Blut. Während sich Portnoy übergangen fühlt, werfen ihm seine ehemaligen Kollegen vor, er wollte die Bandgeschicke zu sehr an sich reißen.
DREAM THEATER machten unbeirrt weiter und nahmen mit Mike Mangini „A Dramatic Turn Of Events" auf, das ihren Status weiter festigte. Der Schlagzeuger hingegen eilte von einem Projekt zum nächsten und ließ immer wieder durchblicken, dass er gerne zu seiner alten Combo zurück kehren würde. Doch die denkt gar nicht daran ihren Neuen wieder einzutauschen und untermauert ihre Haltung, in dem sie den Umbruch mit einem selbst betitelten Album manifestiert.

Ob nun das weitere Fehlen Portnoys sich auf die musikalische Ausrichtung auswirkt, kann man nicht genau sagen. Sicher sind die modernen Anklänge, welche das ehemalige Sprachrohr forcierte, weitestgehend verschwunden. Auf der anderen Seite gab es diese Entwicklung schon auf „Black Clouds And Silver Linings", dem letzten Dreher, den er eingetrommelt hatte. DREAM THEATER anno 2013 klingen sehr warm, erdig mit einem hohen Melodiefaktor. Dazu sehr traditionell, manches könnte gar vom Debüt stammen, selbst Siebzigerzitate kommen verstärkt zum Tragen.
Vor allem die großen Mainstreamprog-Formationen hinterlassen ihre Spuren, in „The Looking Glass" schauen die allgegenwärtigen RUSH um die Ecke. Doch auch KANSAS und Konsorten sind den Fünf nicht fremd; höre ich da jemanden „Images And Words" sagen? In der Tat prägten die AOR-Monster jenes Meisterwerk, das den Ruhm der Band begründete. Hier paaren sich höchster Anspruch und eine Leichtigkeit, welche die Songs zugänglich macht. Ein Sound, der für sie verloren schien, ein verlassenes Feld, das Nachfahren wie SUBSIGNAL gerne bestellten.

Doch nun drängen die Szeneführer wieder in dieses Terrain zurück, wobei das auch nur eine Momentaufnahme sein kann. Von der musikalischen Entwicklung her gab es bei ihnen noch nie einen laufenden Fortschritt, die letzten zwei Alben oder auch „Scenes From A Memory" hätten alle als Bindeglied zwischen „Images And Words" und „Awake" gepasst. Das zeigt uns, dass all diese Einflüsse und Vielfalt in den Musikern stecken, sie diese meisterlich je nach Stimmung während des kreativen Prozesses abrufen können. Dadurch bleiben sie immer frisch und spannend, obwohl alle ihre Werke klar die Handschrift tragen.

Das neue luftigere Klanggewand ist auch etwas differenzierter und harmonischer, gerade weil allzu runter gestimmte Gitarren fehlen. Dadurch gewinnt der Mix von Richard Chycki an Transparenz, was die Details noch plastischer heraus stellt. Gewinner hiervon sind vor allem die Orchesterparts im mächtigen, dreiteiligen Intro „False Awakening Suite" und dem abschließenden Epos „Illumination Theory". Bei dem Song übertreffen sich DREAM THEATER einmal mehr selbst und schwingen sich zur Klasse ihrer absoluten Überalben auf.
Vor allem der Klassik-Input kommt deutlich mehr zum Tragen, neben dem Orchester überzeugt auch Jordan Rudess mit klassisch geschulten Piano-Läufen. Die gehen bei besagter Nummer in ein unglaubliches Synthesizer-Solo über, bevor die Nummer richtig Fahrt aufnimmt. Waren die Instrumentalparts in der Vergangenheit manchmal ein wenig verkopft, so macht sich die neu gewonnene Leichtigkeit auch hier breit, wie das Instrumental „Enigma Machine" unter Beweis stellt. Mit seinem mannschaftsdienlicheren Spiel hält Mangini das Ganze perfekt zusammen.

Ein Manko, welches „A Dramatic Turn Of Events" anhaftete, waren die nicht ganz mitreißenden ruhigen Stücke. Doch diese kompositorische Schwäche, die ich auch noch auf das Fehlen von Portnoy schob, wurde ebenfalls ausgemerzt. War man da nicht mutig genug und kleisterte viel mit Bombast und Pathos zu, so regieren nun die Emotionen. Dies ist in erster Linie ein Verdienst der großartigen Performance von Sänger James LaBrie, sicher dem größten Nutznießer des jüngsten Besetzungswechsels.
In der Vergangenheit war er immer der Kritikpunkt des ausgestiegenen Gründungsmitglieds, das ihn sogar versuchte, mit teils extremen Metalvocals nach hinten zu drängen. Nun konnte er sich endlich freischwimmen und seine gesamte Persönlichkeit in seine Melodiebogen legen. Alleine im überragenden „Beyond The Veil" zeigt der Frontmann, dass er zu den ganz Großen seiner Zunft gehört. Er pendelt von sehr kraftvoll bis hin zu ganz gefühlvoll, um dann in einen unfassbar großen Refrain hinein zu steigern.

Auch Gitarrist John Petrucci, auf dem nun die meiste Verantwortung lastet, sucht sein Heil in der Entschleunigung. Zwar gibt es kein so ausuferndes ruhiges Solo wie bei „Breaking All Illusions" vom Vorgänger, stattdessen platziert er mehrere kürzere im Verlauf des Drehers. Hier zeigt er ein Feeling, welches ihm viele Kritiker gerne absprechen würden, lässt sogar bluesige Noten anklingen. Natürlich schenkt er uns auch die ein oder andere Frickelattacke ein, aber er weiß hier besser einzuschätzen, was jeweils passt.
Überhaupt agieren DREAM THEATER so fokussiert wie schon lange nicht mehr, setzen die Arrangements noch genauer, platzieren jede Note auf den Punkt. Als wolle die Truppe endgültig beweisen, dass sie ohne Portnoy funktioniert. Dafür hat man alles in die Waagschale geworfen, noch inspirierter, noch kraftvoller, noch songdienlicher, eingängiger und packender. Das zwölfte Album macht die Schwächephase Mitte des letzten Jahrzehnts endgültig vergessen. Selbst da veröffentlichten sie immer noch tolle Werke, doch dieses hier hat wahrhaft das Zeug, eine neue Ära einzuleiten. (Pfälzer)

 

Bewertung: 9,5 / 10


Anzahl der Songs: 9
Spielzeit: 68:06 min
Label: Roadrunner Records
Veröffentlichungstermin: 20.09.2013

Wertung der Redaktion
David Pascal Anne Maik Andreas Jannick Jochen
6,5 7 8 9 7 8 6,5
Kategorie: Gruppenzwang