Fates Warning - Long Day Good Night

fateswarning londdaygoodnight200nb mehrfachwertungDas gut Dinge manchmal Weile hat, ist im progressiven Sektor sicher nicht das Verkehrteste. Vier Jahre konnten die neuen Songs einer der führenden Prog Metalbands reifen um jetzt auf die Menschheit losgelassen zu werden. Dabei waren die Herren alles andere als untätig, endlich viele Touren auf dem alten Kontinent, eine dazugehörige Livescheibe, und obendrein brachte Mastermind Jim Matheos mit dem alten Sänger Jon Arch ein weiteres ARCH/MATHEOS-Werk an den Start. Interessanterweise haben FATES WARNING die Plattenfirma gewechselt, vom Prog-Label Inside Out ging es zurück zum Heimatcompany Metal Blade. Die Jünger fragen sich natürlich ob das zuletzt hohe Niveau mit "Long Day Good Night" gehalten werden konnte, und ob der Titel Sorge bereiten sollte?

Auf letztere Frage habe ich auch keine Antwort, bin aber speziell aufgrund Namensgebung des Rausschmeißers sehr nachdenklich. Nachdenklich stimmt auch dieses Album, oder besser, es lädt den Hörer zum Denken ein. Zu Beginn fühlt man sich noch stark an den Vorgänger erinnert, der hohe Melodieanteil wurde mindestens beibehalten, dazu weitet sich die Herangehensweise, einige Songs ruhig beginnen zu lassen fast zur Masche aus. "The Destination Onward" nimmt ein bisschen den Faden von "The Lights And Shades" auf, ist anfangs spärlich instrumentiert, bevor dann die Riffsalven losbrechen und so herrlich nach dem duften, wofür man die Formation liebt. Knackige Schübe der sechs Saiten prägen ebenso das folgende "Shuttered World", wobei hier der Kontrast zwischen Härte und Melodie noch stärker ausgearbeitet wird.

Mit "Alone We Walk" kommen andere Klänge ins Spiel, die etwas düstere ausfallen, wobei das bei der Melancholie von FATES WARNING ohnehin immer unterschwellig mitschwingt. Die Gitarrenarbeit nähert sich den zeitgemäßeren amerikanischen Gewohnheiten, dazu wird die Rhythmusgruppe hervor gehoben. Das groovt mehr als man es von der Truppe her kennt, aber ganz neu dürfte es für die Anhänger nicht sein, denn bereits auf dem eher schwächeren "X" hat man mit alternativen Einflüssen experimentiert. Allerdings rockt man hier deutlich direkter und verfällt nicht so in die Weinerlichkeit der Neunziger wie auf besagtem Longplayer.
Sich jetzt erneut dran zu versuchen überrascht zwar, doch wenn wir auf Titel wie den Longtrack "The Way Home" schauen, bekommt die Herangehensweise ein anderes Gesicht. Auch hier wird ruhig eingestiegen, fast ein komplett eigenes Lied in balladesken Tönen gehalten. Wenn das Tempo mit einer interessanten Spannung anzieht, übernimmt der Bass von Joey Vera eine prägende Rolle bevor die Riffs im Verbund mit Leadgitarren loswalzen. Was neben dem alternativen Ton durscheint ist eine gewisse bluesige Note, welche man so noch nie bei dieser Formation gehört hat, die sich aber gut ins Gesamtbild einfügt und neue Perspektiven bietet.

Blickt man auf ein paar aktuelle Veröffentlichungen entdeckt man ein paar Blues - und Retrorocker, welche etwas in die Postmoderne abdriften. Das erinnert an die Zeiten als sich der Grunge aus dem immer bluesiger werdenden Hard Rock der späten Achtziger entwickelte, sorgt aber bei Autor für etwas Stirnrunzeln. Genau von jener Phase scheint Mathoes inspiriert zu sein, wie man in "Begin Again" deutlich hören kann. Ein akustisches Motiv, das tief im Sumpf watet, ein paar psychedelische Tupfer, dann brettert das Ding im Refrain richtig los. Wem das nicht genug der Neuerungen ist, der wird beim längsten Track "The Longest Shadow Of The Day" bedient, in dem erneut die vier Saiten ihre Spuren hinterlassen. So langsam baute sich noch keine FATES WARNING-Nummer auf, und wo sich die ruhigen Leadfills auf "Long Day Good Night" bisher noch bluesig anmuteten, wandeln sie sich jetzt komplett dem Jazz zu. Die ersten Minuten sind komplett instrumental gehalten, die Stimmung gerät ins Flirren und vor allem weil der ganz große Ausbruch nie stattfindet, weiß die Dynamik so richtig zu fesseln.

Das sind nicht die einzigen Überraschungen auf dem Album, denn analog zu der ruhigsten Ausrichtung seit "Pleasant Shade Of Grey" finden sich hier mehrere reinrassige Balladen, was der Anhänger so bislang auch nicht kannte. Mit "Now Comes The Rain" hätte die Band in der angesprochenen Ära einen Hit landen können, pendelt er gekonnt zwischen Tradition und Alternative. Jenes Pendel schlägt bei "Under The Sun" noch deutlicher in letztgenannte Richtung aus, die blubbernden Klänge haben etwas von der PEARL JAM-Übersetzung ihrer floydschen Einflüsse. Und "The Last Song" lässt die Scheibe nur mit der Klampfe zu Ray Alders Gesang ausklingen. Auf der anderen Seite finden sich aber auch ein paar kompakte Metalkracher auf dem Werk, welche den alten Fans immer wieder den Weg zurück aufweisen. "Liar" rockt wunderbar geradlinig nach vorne und das melodische "Glass Houses" fährt die bewährten Leadthemen auf.

Hatte ich schon bei "Theories Of Flight" beobachtet, dass sich FATES WARNING auf dem Pfad befinden, den einst QUEENSRYCHE in den Neunzigern beschritten haben, so wird der Kurs tatsächlich weiter verfolgt. Allerdings mit zwei gewaltigen Unterschieden, denn hier bekommt man schlüssige und eingängige Songs präsentiert, welche brillant in Szene gesetzt wurden und denen man die lange Reife in Form von perfekt ausbalancierten Kompositionen anhört. Zweitens kappt "Long Day Good Night" Band nicht komplett die Wurzeln, sondern entwickelt sich konzise und nachvollziehbar weiter, bringt neue Ideen ins bewährte Muster mit ein und schafft so Neues im vertrauten Rahmen. Die Veränderungen waren für Fans kein Schock, genau das ist der wahre progressive Geist, deswegen sind die Fünf bis heute so wichtig. Bleibt zu hoffen, dass die Zeichen anders gedeutet werden sollen als befürchtet! (Pfälzer)

 

Anzahl der Songs: 13
Spielzeit: 72:26 min
Label: Metal Blade
Veröffentlichungstermin: 06.11.2020

Bewertung:

Pfaelzer8,5 8,5 / 10


Maik9,0 9 / 10

Ral8,0 8 / 10

Alex27,5 7,5 / 10

Anna 7,57,5 / 10

Ebi 7,07 / 10

Ral8,0 8 / 10


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