rush r40liveIm Zuge dieser aktuellen Veröffentlichung kommen viele beunruhigende Nachrichten zu Tage, was die Zukunft der Band angeht. Dabei war es bereits nicht abzusehen, ob die diesjährige Nordamerikarundreise zum vierzigsten Jubiläum überhaupt stattfindet. Klar ist, dass die Drei nicht jünger werden und Drummer Neil Peart wegen seiner jungen Familie tourmüde ist. Das steht ihm nach den vielen tragischen Ereignissen der Vergangenheit auch zu. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass RUSH noch einmal in Europa auf die Bühne gehen werden, die Zukunft der Band steht in den Sternen. Dabei zeigt sich erst in der Livesituation die wahre Größe der Progpioniere, deren Shows gigantische Messen sind. Vor allem auf ihrem Kontinent sind sie eine unverrückbare Institution, so kamen die USA und Kanada noch einmal in den Genuss eines Best Of-Programms. Dieses liegt nun unter dem Titel "R 40 Live" in verschiedenen Formaten als Mitschnitt vor. So kann jeder entscheiden, wieviel RUSH er zuhause haben will, um sich hierzulande wenigstens die Illusion ins Wohnzimmer zu holen. Ich für meinen Teil gebe die Hoffnung nicht auf.

Die Kanadier wären nicht die Formation, die sie sind, wenn sie nicht stets so einen hohen Qualitätsanspruch gehabt hätten. So kann man zwischen der DVD-, DVD+CD-, BluRay-, sowie BluRay+CD-Variante wählen. Gerade die Pakete mit beiliegenden drei Audioscheiben bringen das komplette Rundumvergnügen für zuhause und unterwegs. Dazu zählt die BluRay noch ein paar mehr Bonusstücke, was allerdings auch der einzige Kaufanreiz gegenüber der herkömmlichen DVD darstellt. Ich habe sowohl die BluRay auf einem großen Bildschirm als auch die DVD auf einem Röhrenfernseher geschaut, ein wertiger Unterschied war kaum auszumachen. Kann man nicht einfach zu einem Format zurückkehren, oder warum muss die Firma Sony immer eine Extrawurst braten?

Dass das Teil auch mit eher schwächerem Equipment immer noch ein Sehvergnügen darstellt, liegt vor allem an der wirklich guten Kameraführung und dem sehr scharfen Bild. Hier haben RUSH gewohntermaßen alle Register gezogen, und die technischen Möglichkeiten voll ausgereizt. Klangtechnisch weiß "R 40 Live" ebenso zu überzeugen, was das immer noch unfassbare Spiel des Trios perfekt in Szene setzt. Alleine die Lightshow ist wieder ein Genuss, mehrmals gibt es phantastische Totaleinstellungen, welche die wellenmäßigen Schwenkungen der Varilights von einem zum anderen Bühnenrand optimal in Szene setzen.
Auf passende Untermalung legten sie schon früh in ihrer Karriere viel wert, bereits zu Beginn der Achtziger wurde mit viel Lichteffekten und Lasern gearbeitet. Heute kann man tolle Animationen bestaunen, die Leinwände hinter der Bühne werden auch oft für Großeinstellungen der Musiker benutzt. Der Fan im hinteren Teil der Halle will ja schließlich auch genauestens die Fingerfertigkeit seiner Helden bestaunen. Hierzu hat man auf "R 40 Live" oft genug die Möglichkeit, denn die Musiker werden in vielen, auch längeren Nahaufnahmen gezeigt, so dass man sich gut darauf konzentrieren kann. Speziell die Kamera, die Neil Peart direkt von oben filmt, liefert grandiose Einblicke.

Was der womöglich beste Schlagzeuger der Welt im Laufe des Sets raushaut, sucht immer noch seinesgleichen. Mit einer stoischen Lässigkeit kreisen die Stöcke zu den unglaublichsten Breaks. Immer wieder baut er kleine Soli in die Songs ein, nicht nur das obligatorische beim unverzichtbaren "Tom Sawyer". Doch RUSH stellen ihre Virtuosität nie in den Vordergrund, der Song bleibt stets im Mittelpunkt, und die werden regelrecht zelebriert. Mit einer traumwandlerischen Sicherheit gelingen die wunderbarsten Harmonien, welche der Musik des Dreiers diese Erhabenheit verpassen. Über das komplette Werk der Band kann man sich einfach treiben und sich von ihren überragenden Kompositionen gefangen nehmen lassen. Diese erstrahlen auf der Bühne noch lebendiger, noch stärker, daran konnte der Zahn der Zeit noch nicht nagen.

Wer mit einem solchen Katalog anreist, der hat natürlich die Qual der Wahl, vor allem, wenn man solch euphorische Fans bedienen muss. Doch seien wir ehrlich, welche Band kann es sich schon erlauben eine Nummer wie "Limelight" im Koffer zu lassen. Und so gingen die Kanadier den scheinbar einfachsten Weg und ordneten ihr Material chronologisch an, wobei sie mit den Stücken von "Clockwork Angels" begannen, um die ganz frühen, rockigeren Songs als Zugabe zu präsentieren. Bei dieser Reise zurück in die Zeit ist immer wieder schön zu beobachten, wie jedes Riff aus jeder Epoche doch eindeutig als RUSH zu identifizieren ist.
Selbst nach vierzig Jahren gelingen immer noch Überraschungen in der Setlist, das selten gespielte "How It Is" von "Vapor Trails" war nicht unbedingt zu erwarten, während "Losing It" von "Signals" gar das erste Mal gespielt wurde, und einen Höhepunkt darstellt. Bei jener Nummer kam mit Geiger Ben Mink ein seltener Gast auf die Bühne, der schon auf dem Album die Parts einspielte. Überraschenderweise gab es keinen Titel vom auf der "Clockwork Angels"-Tour so präsenten High End-Experiment "Power Windows", dafür gab es von älteren Werken wie "Permanet Waves" und "A Farewell To Kings" je drei Nummern.

Entgegen ihrer üblichen Herangehensweise haben RUSH auch an und an das Set ein wenig umgestellt, vom aktuellen Album gab es auch mal drei Kostproben zu hören, neben den bei der aufgezeichneten Show gespielten "The Anarchist" und "Headlong Flight" kamen auch der Titelsong und der wohl stärkste, "The Wreckers" zum Zug. Anstelle von "YYZ" gab es auch öfter "Red Barchetta" oder das sehr seltene "The Camera Eye", während zwischen "How It Is" und "One Little Victory" abgewechselt wurde, ebenso wie bei "Between The Wheels" und "Distant Early Warning" von "Grace Under Pressure". Wo die bei anderen Shows gefilmten Tunes von "Clockwork Angels" sowie "The Camera Eye" lediglich auf Blu Ray als Bonus mit dabei sind, gibt es bei der DVD nur die übrigen drei.

Gefilmt wurde die komplett zu sehende Show am 19. Juni im Air Canada Center in ihrer Heimatstadt Toronto. Und wie es sich für ein Heimspiel gehört, war auch die Stimmung prächtig. Das Publikum wurde sehr gut eingefangen, da gab es bei "R 30" beispielweise einige Defizite in der Richtung. Immer wieder sieht man Menschen in der Luft Gitarre, Schlagzeug, ja selbst Keyboards spielen. Vier beinharte Fans in der ersten Reihe tun das durchaus synchron und haben die selben Overalls an wie die "Arbeiter", die ständig auf der Bühne Boxen auf - und abbauen.
Dieses etwas skurrile Randgeschehen ist bei RUSH-Shows mittlerweile ebenso dazugehörig wie die launigen Clips während der Pausen. Von den guten Reaktionen im Publikum angestachelt ist natürlich die Band bestens aufgelegt und besticht mit einer ungeheuren Spielfreude. Der Spaß ist ihnen dabei anzusehen, die Kommunikation untereinander ist mit den Jahren perfektioniert worden. Vor allem Lee nutzt die Freiräume, die ihm die geringe Anzahl an keyboardlastigen Tracks bietet und ist in seiner typischen Gangart mit hochgezogenen Fersen immer unterwegs.

"R 40 Live" bietet einmal mehr perfekte Unterhaltung gepaart mit unfassbarer Musik, die sehr lebendig rüber kommt, dass es kaum zu glauben ist, dass dies vielleicht eines der letzten Konzerte der Überband zeigt. Fans müssen hier wie bei allen voran gegangenen DVD-Veröffentlichungen unbedingt zugreifen und auch für Neulinge bietet das Paket eine umfassende Werkschau, die kaum einen nicht mit dem Virus infizieren dürfte. Wenn das wirklich das Vermächtnis ist, dann wird das noch lange nachhallen, auch wenn "Rush In Rio" in Sachen Intensität unübertroffen bleibt. (Pfälzer)

Bewertung: 9 / 10

Anzahl der Songs: 29 (DVD) / 32 (Blu Ray)
Spielzeit: ca. 178 min (DVD) / ca. 200 min (Blu Ray)
Label: Anthem/Universal
Veröffentlichungstermin: 04.12.2015

 

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