Epitaph - Live At Rockpalast

epitaph_rockpalastOh weh, kommt der Pfälzer wieder mit seinen Schubladen ums Eck? Auch wenn mir ja immer wieder unterstellt wird ich würde diese selber kreieren so kann ich einige Leute beruhigen, bei Krautrock handelt sich es um ein Genre, welches älter als ich ist. Was verbirgt sich aber dahinter? Nun, es ist quasi der deutsche Gegenentwurf zum britischen Progressiverock, der musikalisch einen eigenständigen Charme besitzt und den weitaus bekannteren Bands der Insel in Sachen Experimentierfreude in Nichts nachsteht.
Wer damit nichts anzufangen weiß, populäre Vertreter waren KRAAN, NEU!, BIRTH CONTROL oder AMON DÜÜL 2, falls das jemand etwas sagen sollte. Später erwuchsen aus der Szene Pioniere der elektronischen Musik wie KRAFTWERK und TANGERINE DREAM oder die erfolgreichsten Vertreter ELOY. Ob man EPITAPH dazu zählen darf darüber lässt sich streiten. Nicht nur wegen den englischen Mitgliedern fuhren die Hannoveraner einen eher an den Vorbildern aus dem vereinten Königreich orientierten Sound. Nach vielen Irrungen und Wirrungen der Achtziger, bei denen einige Mitglieder unter dem Banner DOMAIN Melodicrock fabrizierten fand man in dem Jahrtausend wieder zusammen. Im Laufe der Karriere trat man auch mehrmals im "Rockpalast" auf, diese Konzerte gibt es nun endlich käuflich zu erwerben.

Das Paket beinhaltet auf zwei Silberlingen alle bisherigen Fernsehauftritte der Formation und erscheint im typischen Digi, wie man ihn aus der Rockpalast-Reihe von MiG-Music kennt. Das Einheitliche hat etwas von früheren Tagen, als das Label anhand des Seitenaufdrucks der Langspielplatte zu erkennen war. Im Booklet sind noch Liner-Notes von Band-Gründer Cliff Jackson, mit ein paar Anekdoten aus eben jener Zeit.

 

Auf der ersten DVD befinden sich zwei Rockpalast-Mitschnitte aus den Siebzigern, der erste aus dem März 1977. Als man gerade wieder in der Originalbesetzung zusammen gefunden hatte quittierte Drummer Jim McGilvray erneut den Dienst, so dass erstmal Not am Man war. Zum Glück sprang Fritz Randow, der später mit VICTORY und SAXON zu Ehren kam ein und schaffte sich in kürzester Zeit das Material drauf.
Ein wenig gewöhnungsbedürftig war auch die Location, in dem WDR-Studio gab es eine winzige Tribüne für 40 Leute, die etwa 30 Meter von der Bühne weg stand. So war es natürlich schwer für die Band den Kontakt zum Publikum herzustellen. Bewegung war auch nicht gerade sonderlich viel vorhanden, die beiden Gitarristen Jackson und Klaus Walz harmonierten zwar sehr gut miteinander, bleiben aber beide auf ihren Seiten der Bühne.
Die beiden prägten mit ihrem Spiel den Twin-Lead-Gitarrensound, wie man ihn von WISHBONE ASH her kannte. Den optischen Mittelpunkt bildete so Bassist und Sänger Bernd Kolbe, der sich in für heutige Verhältnisse recht unbeholfene Posen warf. Die Truppe bot einen Querschnitt aus ihren ersten drei Alben, wobei hier schon die Songs nicht so experimentell ausfielen wie bei ihren deutschen Kollegen. Immer noch sphärisch und leicht psychedelisch, mit vielen Akustikparts, aber schon mit etwas Zug wie bei der Boogie-lastigen Band-Hymne „Going To Chicago"

Zweieinhalb Jahre später trat man erneut im Rockpalast auf, wieder Mal im Studio L. Das Line-Up hatte in der Zeit ziemlich rochiert, für Bernd Kolbe kam Harvey Janssen am Bass, die Lead Voclas übernahm Cliff Jackson. Einen Tag vor dem Auftritt hatte er seine Stimme verloren und konnte den Gig nur mit Mühe durchstehen, was dem Konzert etwas anzumerken ist. Klaus Walz war ebenso nicht mehr dabei, für ihn griff Heinz Glass in die Saiten, der auch heute noch an Bord ist. Zusätzlich verstärkten sich EPITAPH mit dem Keyboarder Michael Karch.
Geboten wurden hier Songs vom im Jahr zuvor veröffentlichten „Return To Reality" sowie dem damals in der Probephase befindlichen „See You In Alaska". Diese sind eine ganze Spur geradliniger als das Material der Frühphase, gerade der Opener „Tonight" oder der Titeltrack des damals aktuellen Longplayers, trieben schön nach vorne und zeigten schon Ansätze von dem was später in den Achtzigern kam.
Die klassischen Leadgitarren prägten den Sound aber immer noch, wobei Jackson und Glass weitaus mehr die Nähe des anderen suchten als es der Mainman mit Walz tat. Bewegungsdrang ist bei den beiden auch mehr auszumachen, genauso wie man sich in viele Posen warf. Der Sound viel auch wegen der Keyboards ein wenig voluminöser aus, obwohl diese Lieder ein wenig härter waren.

Vom Gesamtklang gibt es bei beiden Auftritten nichts zu bemängeln, für die damalige Zeit verfügte der Rockpalast über ein gutes Equipment. Klar und differenziert mit dem nötigen Druck kommt der Sound aus den Boxen. So lässt sich die Virtuosität gut erkennen mit der die Jungs an den Start gingen. In Sachen Bild gibt es auch wenig zu bemängeln, auch wenn es bei dem ersten Auftritt ab und an streifig wird. Das Licht ist ebenfalls gut ausgefallen, aber das Studio war auch darauf ausgelegt, gleiches gilt für die Kameraführung.

Noch eine ganze Spur besser kommt die Musik auf der zweiten DVD rüber, denn die Aufnahmen haben einen heutigen Standard. Das Konzert dazu fand kurz vor Weihnachten 2004 statt als EPITAPH zusammen mit JANE in der Bonner Harmonie auftraten. Die Herren sind natürlich etwas in die Jahre gekommen, Cliff Jackson in Ehren ergraut, während bei Kolbe und Glass noch die Matte vorherrscht. Am Schlagzeug sitzt und das bis heute Achim Poret. Verlernt haben die Vier nichts, auch wenn sie ein wenig steifer wirken, was sich nicht auf den musikalischen Beitrag auswirkt. Gerade der tolle Sound bringt die Dynamik der Songs richtig zur Geltung.
Seit der Reunion legt man live eher Wert auf Songs der ersten drei Alben, was einige Dopplungen mit dem 77er-Gig mit sich bringt. Aber auf „Fresh Air", „Stop, Look And Listen" und vor allem „Going To Chicago", das alle drei Konzerte abschließt will man nicht verzichten. Einziger neuer Titel ist „Bad Feeling" von „See You In Alaska", der hier aber nicht so heraus sticht wie der Unterschied zwischen dem Material der ersten beiden Konzerte.

Abgerundet wir das Ganze von einem Interview mit Kolbe und Peter Panka von Jane, welches bei den Krautrocktagen 2005 aufgezeichnet wurde. Als weiteren Bonus serviert man noch zwei Songs aus dem Musikladen von 1972, wobei „Little Magie" eigentlich nur die Probe war aber so gut ausfiel, dass man sie mit drauf packte. Typisch für die Sendung waren die psychedelischen Farbspiele im Hintergrund, welche die Songs gut unterstützen, hat auch heute noch seinen eigenen Charakter. Für Fans von EPITAPH ist dieser Rundumschlag unverzichtbar, alle die gelebte Rockgeschichte erleben wollen sollten auch zugreifen, denn „Live At Rockpalast" vermittelt ein authentisches Feeling der Aufbruchtage. (Pfälzer)

Bewertung: 8 / 10

Anzahl der Songs: 30
Spielzeit: 228 min
Label: MiG Music
Veröffentlichungstermin: 27.05.2011

Kategorie: DVD-Reviews