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darktranquillity atomaIn Göteborg rumort es derzeit ein wenig, nicht nur weil die wichtigsten Vertreter der dortigen Metalszene fast zeitgleich ihre neuen Scheiben an den Mann bringen. Auch personell hat es bei allen in den letzten Jahren Veränderungen gegeben. War das Line-Up von DARK TRANQUILLITY in ihrer Hochphase zwischen „Haven“ und „Fiction“ intakt, so stieg Bassist Michael Nicklasson anschließend aus und wurde durch Daniel Antonsson ersetzt. Dieser nahm nach der letzten Scheibe „Construct“ seinen Hut, und auch Gründungsmitglied Martin Henriksson ging von Bord. Während mit TIAMAT-Mann Anders Iwers eine naheliegende Lösung an den vier Saiten gefunden wurde, ist der Posten des zweiten Gitarristen nach wie vor vakant. Das sind zumindest nicht die besten Vorzeichen für die neue Scheibe, zumal die letzten zwei nicht mehr ganz an den Standard der Vorgänger anknüpfen konnten. Das hielt die Truppe nicht davon ab, sich mit „Atoma“ auf die Reise ins innerste Selbst zubegeben.

Im Gegensatz zum Vorgänger kommt man hier direkter auf den Punkt, schon der Opener „Encircled“ bietet genau den Stoff, welchen die Fans lieben. Die typischen Ladgitarren fallen hier überraschend düster aus, was dem Ganzen eine besondere Atmosphäre verpasst. Dieses gewohnte Tempo wird aber nicht die ganze Zeit hoch gehalten, lediglich in „The Pitiless“ und „When The World Screams“ wird das Gaspedal konsequent durchgetreten. Was nicht heißt, dass die Göteborger auf Midtempo setzen, vielmehr ist Abwechslung Trumpf auf dem neuen Longplayer. Was konsequent durchexerziert wird, ist die selbst für DARK TRANQUILLITY düstere Ausrichtung, die gut zu den wie immer sehr philosophischen Texten passt. Hier sind die Fragen sogar noch ein wenig existenzieller, als jene die Mikael Stanne sonst stellt.

Schon der Titeltrack nimmt nach einer rasanten Harmonie erst einmal den Drang nach vorne heraus, Martin Brandström pendelt zwischen Piano und Synthieschwaden. Dazu ertönt erneut der auf dem Vorläufer wieder entdeckte Klargesang, nur im Refrain gibt es Grunts, wobei der Song insgesamt fast rockig daher kommt. Es ist schon ein bisschen seltsam, dass Stanne plötzlich seine klare Stimme wieder so üppig einsetzt. Dieses Stilelement trat erstmals auf „Projector“ in der Häufigkeit auf, dem Übergangsalbum von den todesbleihaltigen Anfängen zu den schnellen melodischen Läufen.
Doch danach verschwanden sie wieder, dazu schien die Formation ihre kompositorische Formel gefunden haben. Jene lief sich aber auf dem schwächeren „We Are The Void“ zunehmend tot, es war an der Zeit für neue Ideen. Es wäre also möglich, dass man bewusst zurück ging, um den Ansatz von damals wieder weiter zu verfolgen, ohne dabei die Erfolgsplatten ganz zu verleugnen. „Atoma“ hat jedenfalls mehr Ähnlichkeiten zu den besagten beiden Werken als zu denen aus den Nullerjahren.

Nun darf man nicht annehmen, dass Klargesang gleichbedeutend mit weniger Härte ist, denn auch in ruhigeren Stücken packt Stanne die gutturale Stimmlage aus. Das von düsteren Harmonien getragene „Faithless By Default“ und das vom atmosphärischen Picking lebende „Merciless Fate“ werden fast durchweg gegrunzt. Damit stehen sie in der Tradition von flächigen Epen wie „Inside The Particle Storm“. Auch das eher am Gothic Rock der Marke THE 69 EYES oder späten TIAMAT geschulten „Our Proof Of Life“ wechselt zwischen den beiden Stimmen.
Das gilt auch „Force Of Hand“, welches die heftigsten Sprünge verzeichnet, nach Keyboardflächen zu Beginn schießen urplötzlich thrashige Riffs hervor. Ebenso von Thrash beeinflusst gibt sich die Strophe von „Neutrality“, bei dem sich im Refrain das Piano an fiebrigen Leadattacken reibt. Noch interessanter kommt „Forward Momentum“ daher, rhythmische Drums und abgestoppte Riffs erinnern an SAMAEL. Nach getragenem Klargesang verstärkt der Breitwandchorus diesen Eindruck zusätzlich.

So sehr „Atoma“ auch von den Gegensätzen lebt, zwei Titel fallen doch so sehr aus dem Rahmen, dass sie nur auf einer Bonus-CD zu haben sind. Das sehr atmosphärische „The Absolute“ und das melodischere „Time Out Of Place“ sind betont ruhig, rein klar gesungen und verdeutlichen die Inspiration von DEPECHE MODE auf die Schweden. Kompositorisch ist das alles Klasse, über die Albumdistanz passiert sehr viel in kurzer Zeit, was der Zugänglichkeit etwas schadet. Das Album zündet nicht sofort beim ersten Hören, die Vielfalt erschließt sich erst mit der Zeit. Damit könnten sich DARK TRANQUILLITY zwischen zu viele Stühle gesetzt haben. (Pfälzer)


Bewertung:

Pfaelzer7,0 7 / 10


Anzahl der Songs: 14
Spielzeit: 59:00 min
Label: Century Media
Veröffentlichungstermin: 05.11.2016

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