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airbag disconnectedIm letzten Jahr überraschte der Mastermind der Norweger mit einem Soloalbum, bei dem er sich aber auch nur wenig aus dem Korsett seiner Truppe heraus wagte. Nun ist wieder Teamarbeit bei den Klangarchitekten angesagt, zweieinhalb Jahre ließ man sich Zeit, um nachzulegen. Für eine eher unbekannte Formation recht lange, vielleicht hätte Björn Riis auf seinen Soloausflug verzichten sollen. Unterdessen hat sich noch mehr getan im Lager von AIRBAG, denn nach einem Longplayer für Plastic Head kehrten sie nun zu ihrem alten Label Karisma Records zurück, welches in ihrer Heimat ansässig ist. Somit stehen die Zeichen nicht unbedingt auf großen Veränderungen, die auf „Disconnected“ zu erwarten sind.

In der Tat musste man kein Prophet sein, um eine weitere Wurzelpflege des Vierers voraus zu sagen, hier fällt der Apfel auch bei der neuesten Geburt nicht weit von Stamm. Man hat es sich in der eigenen Nische bequem gemacht und pendelt weiter zwischen klassischen und modernen Art Rock. Dabei könnte „Killer“ zu Beginn vom Titel her die etwas schroffere Richtung des Vorgängers weiter fortführen. Doch musikalisch hat man da weit daneben gezielt, fast scheint es, dass mit der Rückkehr zur angestammten Plattenfirma auch die alten Tugenden noch mehr strapaziert werden.

Doch diese können sich wie bisher immer sehen lassen, die Herren spazieren mit einer traumwandlerischen Sicherheit durch ihre Soundscapes. Bei dem angesprochenen Opener flirren die Synthesizer so richtig schön und lassen den Hörer im hypnotischen Ambiente versinken. Ein wenig psychedelischer sind sie doch geworden, allerdings ist dies bei stetigen PINK FLOYD-Referenzen nun alles andere als abwegig. Wo früher vor allem das Wechselspiel von laut und leise vorherrschte kommt man auf „Disconnected“ noch mehr in den Schwebezustand, gerne dürfen Räucherwaren gereicht werden.

Versuchten es AIRBAG auf „The Greatest Show On Earth“ noch mit kräftigeren Klangwänden, so hat man diese wieder zurück gebaut, um sich nicht den Zugang zur Wohlfühlzone weiter zu verbauen. Hier begehrt nichts auf, schroffe Klippen gilt es nicht zu umschiffen, der Hörer kann sich bedingungslos fallen lassen. Allerdings gibt es eben auch nichts, das ihn hält, ein wenig rauscht dieser Rausch an einem vorbei.
Zum Ende von „Killer“ schält sich ein Bassmotiv heraus, welches man so desöfteren auch „The Wall“ vorfinden kann, gerne darf auch „Russia On Ice“ von PORCUPINE TREE als Referenz heran gezogen werden. Im titelgebenden Longtrack führen die vier Saiten von Anders Hovdan auch länger die Geschicke, sehr schön wie einzelne Töne über deren Tiefenwirkung nachhallen. Diese kleinen Details fördern noch mehr die dezent vernebelte Atmosphäre.

Zwar legen die Norweger nie komplett ihren Bezug zu den Altmeistern des Genres ab, doch auch zeitgemäßere Bands des Genres haben ihre Spuren hinterlassen. ANATHEMA sind nicht gerade für ihre Orgeleinsätze bekannt, dennoch erinnert „Sleepwalker“ an „Feel“ von deren Überwerk „Alternative 4“. Das Piano, welches sich später dazu gesellt, adelt die Nummer als jene mit dem variabelsten Tasteneinsatz im Kosmos der Formation. Ebenfalls verstärkt wurde der Einsatz von Akustikgitarren, speziell bei „Broken“ und „Returned“. Die Polen RIVERSIDE beschritte auf ihrem ebenfalls psychedelischer ausgerichteten „Rapid Eye Movement“ einen ähnlichen Weg.

Trotz all dieser Querverweise haben sich AIRBAG auf ihrem vierten Album endgültig eine eigene Identität geschaffen. Dies liegt vor allem an der betörenden Stimme von Asle Tostrup, die den Hörer umgarnt. Die Truppe beherrscht die Kunst mit wenig Mitteln viel Atmosphäre zu erzeugen, gerade weil sie so reduziert zu Werke geht. Hier bleibt Zeit, innezuhalten und die Landschaften auf sich wirken zu lassen. Diesem cineastischen Charakter wohnt auch etwas Verlorenes inne, eine gewisse Weltflucht lässt sich beim Genuss des Albums nicht leugnen. Kein Wunder, handeln die Texte doch von Verlust und Entfremdung, von immer mehr Kälte in unserer vernetzten Welt.

Vielleicht schmort die Band hier zu sehr im eigenen Saft, vielleicht macht sich mittlerweile etwas Gewohnheit breit. All die feinen Soli, wohligen Flächen und großen Melodien wissen nicht so zu vereinnahmen wie bisher, es fehlt der letzte Mut. Dabei ist die Scheibe brillant und mit viel Gefühl für Raum und Stimmungen eingespielt, in ihrer Welt versteht sich die Band fast blind. Ohnehin lag ich mit meiner Einschätzung über die Zukunft beim Debüt falsch, inzwischen sind die Norweger in der großen Masse etwas untergegangen. Für alle Liebhaber dieses Sounds ist „Disconnected“ aber immer noch eine wunderbare Angelegenheit. (Pfälzer)

Bewertung:

Pfaelzer7,5 7,5 / 10


Anzahl der Songs: 6
Spielzeit: 52:17 min
Label: Karisma Records
Veröffentlichungstermin: 10.06.2016

 

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