Santana - IV

santana santanaivKaum jemand hätte das für möglich gehalten, dass sich diese legendäre Besetzung noch einmal zurück meldet. Ganze 45 Jahre nach "III" nahmen SANTANA noch einmal ein Album mit den Urmitgliedern Neal Schon, Gregg Rolie, Michael Shrieve und Michael Carabello auf. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Reanimierung mit längst vergessenen Musikern, denn alle sind bis heute gefragte Studiocracks, und Gitarrist Schon sowie Keyboarder Rolie gründeten mit JOURNEY eine ebenfalls megaerfolgreiche Band. Oberhaupt Carlos Santana zog seine Vision des Latin Rock lange alleine durch, mit teilweise zwiespältigem Ergebnis. Neben Großtaten wie "Borboletta" war die moderne "R´n´B-Anbiederung "Supernatural" trotz Verkäufen im mehrfach zweistelligen Millionenbereich künstlerisch umstritten. Immerhin gelangen ihm immer wieder, wie zuletzt zusammen mit John McLaughlin auf "Live In Montreux" hochklassige Werke. Mit der Neuauflage des ursprünglichen Line-Ups geht der Künstler auch ein Risiko ein, so mancher Versuch, noch einmal den kreativen Motor anzuwerfen scheiterte auf ganzer Linie, man denke nur an die letzte THE WHO. Doch zuletzt standen die Beteiligten voll im Saft, weswegen man gewisse Erwartungen an „IV“ hegen konnte.

Um es vorweg zu nehmen, schon die ersten Takte zeigen deutlich auf, mit welchem Feingefühl, mit welcher Inspiration die Herren hier zu Werke gehen. Das ist einfach eine Zusammenkunft von Vollprofis, die zwischendurch andere Wege gingen, sich aber stets respektiert haben und nun wieder so richtig Lust aufeinander haben. Und es lodert wieder das Feuer, jenes Feuer, mit dem sie in Woodstock eine ganze Generation für sich entflammten. Jeder befand sich im Herbst seiner Karriere, doch für dieses Projekt wurde noch einmal alles in die Waagschale geworfen. Hier hört man nur so die Funken sprühen, hier hört man wie sich diese Ausnahmekönner im Studio gegenseitig angestachelt haben und sich die Bälle blind zuspielten.

Da mussten keine großen Songwritingsessions her, zu viel Planung im Vorfeld hätte die Sache von vorneherein kaputt gemacht. Die Titel entstanden alle in Jams, ein Wagnis, dass man einging, ein Wagnis, dass es einem aber auch erlaubte, die Sache sein zu lassen, wenn die Chemie nicht stimmte. Doch die Fünf fanden mit ein paar weiteren Musikern wie dem langjährigen SANTANA-Mitstreiter Benny Rietveld am Bass sofort den Draht zueinander. Den Liedern macht diese Herangehensweise nichts aus, vielmehr strotzen sie nur so vor Spontaneität, wie man sie bei so gestandenen Musikern äußerst selten findet. Dabei ist das kein drauf los musizieren, vielmehr sitzt da wirklich jeder Ton, obwohl kaum etwas auskomponiert wurde.

Es ist atemberaubend, mit welcher Sicherheit hier so viele kleine Ideen eingebaut werden und wie sehr die im Gesamtkontext funktionieren. Auch die Intonation ist auf schwindelerregendem Niveau, jeder bringt ein unglaubliches Feeling mit ein, ohne sich dabei in den Vordergrund zu stellen. Mit der sehr warmen Produktion wird das Zusammenspiel noch mehr heraus gearbeitet, da beim Mix ebenfalls allen Nuancen der nötige Raum gegeben wurde. Gerade die Orgel des guten Gregg dröhnt leicht aus dem Hinterhalt, kann aber so erst ihre volle Wirkung entfalten, indem sie für die nötige Atmosphäre sorgt und die anderen Instrumente unterstützt. Keine aufgeblasene Airplay-Anbiederung, aber klangtechnisch doch auf der Höhe der Zeit.

Neben der überragenden Einspielung wartet dieses Album nicht nur mit durch diese Leichtigkeit entstandenen Klassesongs auf, sondern auch mit einem ganzen Füllhorn an unterschiedlichsten Einflüssen. Hier wurde der Kreativität freien Lauf gelassen, jeder Stil, der auch nur annähernd vereinbar schien zugelassen. Dabei war ja SANTANA mit seiner Hinwendung zu lateinamerikanischem Rhythmen schon immer in einer gesonderten Rolle, hier wurde noch mehr gewagt. Nicht nur dieser Teil der Erde wurde mit nativen Klängen eingebunden, schon im Opener „Yambu“ kann man zu Afrobeats tanzen.
Von ähnlicher Rhythmik ist auch „Love Makes The World Go Round“, wenn man auch hier stärker dem Soul zuspricht. Für dieses Stück hat man sich wie auch für „Freedom In Your Mind“, das mit einer markanten Leadmelodie besticht, Ronald Isley ins Boot geholt. Der hatte mit den Isley Brothers schon reichlich Erfolg, als es Carlos Santana gerade erst anfing, verfügt aber immer noch über Qualitäten als Crooner. Und „Leave Me Alone“ entführt uns in die Bars von Kuba, während „Come As Your Are“ von den karibischen Stränden erzählt.

Richtig groß wird das Werk dann, wenn der gute Carlos sein Spiel aufblitzen lässt, jenen schneidenden und dennoch so wohligen Ton, der ihn unter allen Gitarristen der Galaxie heraus hören lässt. Und so gut wie hier war er schon seit Ewigkeiten nicht mehr, die alte Besetzung scheint auch in ihm eine neue Leidenschaft geweckt zu haben, die sich in seinem Spiel niederschlägt. Ist er an der elektrischen Gitarre schon ein Meister seines Fachs, überrascht er im völlig genialen Instrumental „Suenos“ mit traumhaften Akustikklänge, deren Schönheit jeden in die Knie zwingt. Mit dem Slow Blues „Blues Magic“ ist er einer der wenigen, die dem derzeitigen Überflieger JOE BONAMASSA das Wasser reichen können.

Ist „Suenos“ tatsächlich ein würdiger Nachfolger von „Samba Pa Ti“ so können auch die übrigen instrumentalen Stücke überzeugen. Allen voran das lange „Fillmore East“, eine Anlehnung an den berühmten Club, dessen psychedelischer Sog einen mit sich reißt wie seinerzeit „Soul Sacrifice“ und am meisten von den feinfühligen Arrangements lebt. Auch melancholische Klänge wie in „Echizo“ beinhalten diese unbändige Lebensfreude, die der immer noch hippeske Carlos Santana ausstrahlt. Die ist neben der Spielfreude die Triebfeder des Albums, das nur so losgelöst von Zwängen entstehen konnte. Bestes Beispiel dafür der mit Bläsern besetze Bluesrocker „Caminando“, der groovt wie die Hölle.

Es fällt schwer an dem Album überhaupt etwas auszusetzen, lediglich über die Länge kann man diskutieren. Am Ende werden da vielleicht einmal zu viel sphärische Leads über Synthieflächen gelegt, doch auch in dieser Disziplin ist die Formation grandios. Ich frage mich allerdings auch ganz ehrlich welche Nummer ich weglassen würde, mir fällt da keine ein. Ein Album wie das pralle Leben, voller Sommer, Sonne und Sex. Warum ich erstmals die Höchstnote vergebe? Weil das Album nicht nur sensationell gut ist, sondern auch eine Sensation für sich. Der Druck, die Erwartungshaltung war zu groß, als dass sie je zu erfüllen gewesen wäre. Doch SANTANA haben das unmögliche wahr gemacht, mit „IV“ etwas geschaffen, das es mit „Abraxas“ aufnehmen kann, damit war in den kühnsten Träumen nicht zu rechnen. Sie konnten nur verlieren und haben alles gewonnen. (Pfälzer)

Bewertung:

Pfaelzer10,0 10 / 10


Anzahl der Songs: 16
Spielzeit: 76:17 min
Label: Santana IV/Thirty Tigers/Alive
Veröffentlichungstermin: 15.04.2016

 

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