scorpions loveatfirststingMit „Blackout" hatte die deutsche Nummer Eins den großen Durchbruch in den USA geschafft und damit auch den Weg für viele einheimische Acts wie NENA geebnet, die auf der anderen Seite des großen Teichs auch abräumen konnten. Nur hierzulande blieb den Hardrockern die ganz große Ehre bislang verwehrt, auch wenn sie in der Szene längst die absolute Größe waren. Doch Hits wie „No One Like You", 1982 das am öftesten gespielte Lied im US-Radio konnten die SCORPIONS in ihrer Heimat noch nicht landen. Eigentlich unfassbar, wenn man überlegt, dass beim US-Festival im San Bernadino Valley vor 325.000 Zuschauern sogar VAN HALEN (neben den nicht weniger illustren TRIUPMPH, Y&T und LOVERBOY)vor ihnen spielten. Am 17.12. 1983 standen die Hannoveraner neben JUDAS PRIEST und IRON MAIDEN in Dortmund bei der Rock Pop in Concert-Aufzeichnung auf der Bühne und spielten dabei Songs vom wenige Wochen später erscheinenden „Love At First Sting". Legte dieser Abend den Grundstein für die heutige Metallandschaft in Deutschland, so brachte jenes nunmher neunte Studiowerk endgültig den weltweiten Superstarstatus.

Auf diesem knüpften sie nahtlos an den mittlerweile sechs Millionen mal verkauften Vorgänger an, was sollten sie auch an ihrer Direktive ändern, wo sie ihren Sound gefunden hatten. Geprägt wurde die Scheibe erneut vom großartigen Spiel der beiden Gitarristen Mathias Jabs und Rudolf Schenker, welche sich ihre Solo – und Rhythmusparts perfekt zuspielten. Diese fielen noch ausgefeilter und harmonischer aus, man hatte das Rezept verfeinert. Allerdings weniger im Sinne von glatt poliert, sondern vielmehr von reiferer Songanlage.

Bestes Beispiel hierfür war das bereits in der Westfalenhalle vorgestellte „Coming Home". Textlich war dieser einer der typischen Bühnensongs, der das Gefühl beschreibt, sich beim Beginn der Konzerte wie zuhause zu fühlen. Überraschen konnte die Band mit dem ruhigen Intro, bevor es dann richtig zur Sache ging, um im Laufe des Stückes das Tempo noch einmal anzuziehen.
Ähnlich intelligent war der atmosphärische Anti-Kriegs-Song „Crossfire" mit der Marschtrommel arrangiert, zudem verströmte der Titel eine gewisse Melancholie. Die fand sich auch auf dem Res des Albums wieder, das streckenweise nicht ganz die Euphorie-Schiene fuhr. Hier seien „As Soon As The Good Times Roll" und das ein wenig nach den Siebzigern klingende „I´m Leaving You" .

Natürlich gab „Love At First Sting" auch Gas, bereits der krachende Opener „Bad Boys Running Wild" stellte alles klar, bis heute immer gerne als Showeröffnung genutzt. Auch das ruppige „The Same Thrill" zeigte die SCORPIONS von ihrer wilden Seite. Rockig fiel auch der erste große Hit „Big City Nights" aus, der die angesprochenen feineren Harmonien fassweise besaß. Erneut vor allem in den Staaten wurde diese perfekte Mainstream-Hymne ein Hit, die Melodien waren unglaublich flüssig, wie das selbst in den Achtzigern nur wenigen glückte.

Doch es waren zwei Lieder, mit denen die Truppe in Deutschland zum ganz großen Wurf ausholte. Bis heute gehört „Rock You Like A Hurricane" in jede Metaldisco und an das Ende jeder Show. Für den Verfasser dieser Zeilen sollte sich mit genau jenem Klassiker alles ändern. Mein Herz schlug bereits für rockige Klänge, jedoch eher im Neo Prog-Sektor, doch der Titel blies mich seinerzeit komplett weg.
Diese Urgewalt des bretternden Eröffnungsriffs, die Wucht der einsetzenden Drums, die sich hinein steigernde Leadgitarre bis zur Explosion, die schrillen eruptiven Soli, dann die zurückgenommene atmosphärische Strophe, die erneute Tempoverschärfung hinein in die Mutter aller Stadionchöre. Simpel, effektiv, mächtig, ein Wirbelsturm, ein Hurrikan in der Tat, danach sollte nichts mehr so sein wie es war.

Und am Ende wie bei so vielen SCORPIONS-Alben die sanfte Ausgeleitung, das Balladenfach beherrschten sie seit jeher, doch hier sollte es zu voller Blüte reifen. Was sie hier anstellen, lässt sich mit Worten kaum fassen, Klaus Meine legt noch mehr Gefühl in seinen Vortag als sonst, die Leadfills und die Dynamiksteigerungen sind ganz großes Kino. Wo sonst Kitsch vorherrscht, gelingt hier eine kompositorische Glanzleistung. Dabei kann nur derjenige glücklich werden, der die Albumversion kennt.
In der Singleausgabe muss man auf das lange, phantastische Solofadeout und diesen unfassbaren Tempowechsel im zweiten Refrain verzichten. Jeder, der nicht spätestens hier die Tränen in den Augen hat, sollte beim Kardiologen vorsprechen, ob seine Pumpe nicht aus Stein sein könnte. Ein Höhepunkt in der Geschichte des Hardrock, genialer kann man das eigentlich nicht machen, da stimmt alles, definitiv die beste deutsche Rockballade aller Zeiten.

Dabei waren die Hits auch nicht so groß, wie sie nun scheinen mögen, wobei „Still Loving You" bei unseren französischen Nachbarn die meistverkaufte Single überhaupt ist. Hierzulande griff der Fan eher zum kompletten Album, weswegen beide Übernummern lediglich bis in die Top 20 vorstießen. Nur erinnert sich heute noch jemand daran, was damals auf dem ersten Platz stand oder direkt dahinter? Kaum einer dieser Titel hat den Test der Zeit so bestanden wie die beiden der SCORPIONS, die bis heute nichts von ihrer Relevanz verloren haben.

Ergänzt wird die erste CD des Packages von Demoversionen, wobei sich „Coming Home" und „Still Loving You" sattsam bekannt sein dürften. Diese wirken wie noch nicht ganz ausgereift, gerade hinsichtlich der Gesangsphrasierungen und Klangvolumen wurde bei der eigentlichen Produktion deutlich nachgebessert. Nicht mehr als Arbeitsversionen sind auch die übrigen drei Titel, welche es nicht auf den Longplayer schafften, „First Sting Jam" stellt lediglich einen kurzen Instrumentalfetzen dar. „Living At Night" ist ein lässiger Rocker, der für die damaligen SCORPIONS zu amerikanisch klang und in „Any Time (You Want It)" kann der beliebige Chorus nicht mit der treibenden Strophe mithalten.

Die zweite CD wartet dann mit einem Highlight auf, dem ausverkaufen Konzert im Madison Square Garden zu New York City am 06.07.1984. Mit diesem Gig waren die Hannoveraner endgültig in der Spitze der US-Branche angekommen, nur wenige vermögen jenes Venue zu füllen. Zwar wird die Power der Band und der Show gut eingefangen, doch der Sound dürfte ein wenig besser sein. Da wirkt vor allem der Gesang als käme er von weiter entfernt und den Drums fehlt es an Durchschlagskraft. Dennoch ein ganz wichtiges Dokument dieser Formation.

Bei „Love At First Sting" gibt es noch einen dritten Silberling, der im DVD-Format daher kommt. Darauf befinden sich die Videoclips der drei großen Hits und des später als weitere Single nachgeschobenen „I´m Leaving You". Dazu gibt es eine ganze Sammlung von verschiedenen Fernsehauftritten in der Folge der Veröffentlichung, die damals zahlreich waren.
Zu guter Letzt rundet ein Interviewspecial zur Entstehung das Paket ab. Zwar konnte die Scheibe ihrer Zeit nicht ganz an die überragenden „Lovedrive" und „Blackout" anschließen, eine großartige Hardrockscheibe mit hoher Hitdichte ist sie allemal. Wer noch nicht in deren Besitz ist, hat mit der „Deluxe Edition" die ultimative Möglichkeit versäumtes nachzuholen. (Pfälzer)

Bewertung: - / -
Anzahl der Songs: 14 (CD1) / 11 (CD2) / 9 (DVD)
Spielzeit: 61:14 min (CD1) / 53:22 min (CD2) / ca.50 min (DVD)
Label: BMG
Veröffentlichungstermin: 06.11.2015

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