Europe - Original Album Classics

europe originalalbumsEs gibt Fragen, die werden nie beantwortet werden, so etwa die wie sehr manche Dinge Fluch oder Segen sein können. "The Final Countdown" ist sicherlich so ein Präzedenzfall, denn niemand weiß, wie die Karriere von EUROPE ohne den Song verlaufen wäre. Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass Joey Tempest und Co. viel von dem absoluten Welthit profitiert haben, der ihnen heute noch mit dicken Tantiemenschecks nach Silvesterpartys die Rente sichert. Kenner der Materie wissen aber auch, dass da in den Achtzigern noch mehr war, vor allem jene Gesellen, die sich nach dem Megaerfolg von der Truppe abgewendet haben. Da kann man jetzt stundenlang ergebnislos diskutieren, ob die Relevanz in der Hardrockszene nicht ebenso ausgereicht hätte, um den Schweden ein erfolgreiches Comeback zu sichern? Die Gefahr, ähnlich wie andere Formationen aus der zweiten Reihe, beispielsweise VENGEANCE, zu enden, die heute keinen Stich mehr bekommen, war sicherlich gegeben. Was sich die Truppe aber nach der Reunion aufgebaut hat, liegt viel an der Qualität der fünf Alben seitdem, von denen "War Of Kings" kürzlich überzeugte. Es gibt also tatsächlich noch viel mehr an EUROPE zu entdecken, Gelegenheit dazu bekommt man nun, da die ersten fünf Alben in der "Classic Album Series" erscheinen.

Wie bei allen Ausgaben dieser Serie kommen die fünf Scheiben in Cardsleeves mit dem Originalcover in einer Pappbox daher. Auf diesen fünf Silberlingen finden sich allerdings keine Bonustracks, obwohl sich einige B-Seiten, die ja von diversen Best Ofs bekannt sind angeboten hätten. Jede der Scheiben gehört in eine gut sortierte Hardrocksammlung, da macht schon das Debüt 1983 keine Ausnahme. Was diejenigen, die in der Band nur die Interpreten von "The Final Countdown" sehen nicht wissen, dass sie sich ständig weiterentwickelte. So zockte man auf "Europe" noch von RAINBOW inspirierten Melodic Metal, der gerne mal ein paar klassische Zitate tragen durfte.
Bestes Beispiel hierfür ist das Pianointro im großartigen "Seven Doors Hotel", das bis heute immer wieder live zum Einsatz kommt. "In The Future To Come" als Opener bietet ebenfalls treibenden Stoff, der das vorweg nahm, womit ihr Landsmann YNGWIE J. MALMSTEEN ein Jahr später debütieren sollte. Dazu stecken sie mit dem rockigen "Paradize Bay" und der Halbballade "Words Of Wisdom" das komplette Spektrum des Genres ab. Das einzige Manko dürfte der etwas dünne Sound sein, denn was die blutjungen Bubies hier kompositorisch auf die Beine stellten, war schon internationale Klasse.

Dieser wurde ein Jahr danach ausgemerzt, als Leif Mases die Regler übernahm, der auch mit CANDLEMASS arbeitete. Mit dessen kraftvollen Klangbild gelang das bislang härteste Werk ihrer Historie, das in den Augen vieler Fans auch ihre beste Einspielung darstellt. Geriet der von UFO inspirierte Opener "Stormwind" noch zu einem Musterbeispiel von Joey Tempests ungeheurem Melodieverständnis, so ballerten die Vier mit "Scream Of Anger" so richtig los. Das schnellste Stück, das EUROPE je geschrieben haben wird von der Double Bass mächtig voran getrieben. Eine absolute Signaturnummer, die schon von vielen Metalbands wie ARCH ENEMY gecovert wurde und zuletzt immer im Liveset war.
Diese Heavieness von "Wings Of Tomorrow" stellten sie auch in schwer stampfenden "Treated Bad Again" unter Beweis, welches für ihre Verhältnisse düster ausfiel. "Lyin´Eyes" rockt sehr kraftvoll nach vorne, während "Aphasia" John Norums Gitarrenkünste  ins rechte Licht rückt. In ihrer Spezialdisziplin Melodieseligkeit schuf die Truppe mit der Ballade "Open Your Heart" einen wahren Klassiker. Tempest schmachtete sich endgültig in die Teenieherzen, alleine die Bridge ist sowas von Welt, wunderschön, ein Tränendrücker vor dem Herrn. Nach dem Werk stellte man die Weichen für die Zukunft, als Ian Haugland den Drumschemel von Tony Reno übernahm.

Mit dem Keyboarder Mic Micaeli wurde zwei Jahre später eben jenes Line-Up komplettiert, mit dem man die letzten zwölf Jahre um den Globus zieht. Der brachte sich gleich am Anfang mit dem berühmtesten Jingle der Rockgeschichte nachhaltig ein. Rückblickend muss man aber einfach zugeben, dass der Welthit ein wenig darum konstruiert wurde und in meinen Augen zu den weniger starken des Albums gehört. Kevin Olson schliff einige Ecken und Kanten ab, und setzte auf sehr poppige Refrain. Die knalligen Arrangements, wie etwa in "Heart Of Stone" scheinen dagegen vor Euphorie schier zu platzen.
Die Stärke kam dann beim Nachfolgehit "Rock The Night" zum Tragen, die Fähigkeit eine Melodie wunderbar laufen zu lassen. Wie es EUROPE mit ganz wenigen Mitteln, einer spartanischen Instrumentierung, ähnlich arrogant wie LOVERBOY schaffen, einen Drive zu erzeugen, der bis heute seinesgleichen sucht, ist phänomenal. Für mich seinerzeit schon das bessere Lied, mit dem Abstand heute eines der besten aller Zeiten, der Chorus schreit einfach nach Stadion. Doch "The Final Countdown" hatte noch mehr zu bieten, "Cherokee" ist die Blaupause für alle Achtzigerfanfaren und mit "Carrie" gelingt ein unsterblicher Schmachtfetzen. Damit ging die Band weltweit durch die Decke, die Verkaufszahlen wurden siebenstellig abgerechnet, doch es gab auch die ersten Risse.

Direkt nach den Aufnahmen verließ John Norum die Band, weil ihm die Richtung doch zu seicht erschien. Als neuer Gitarrist wurde Kee Marcello verpflichtet, der selbst mit EASY ACTION in Schweden Erfolge feiern konnte. Auf dem schwierigen Nachfolger 1988 wählte man bewusst eine andere Richtung, auch wenn Ron Nevison gerade bei den Arrangements ein paar Erfolgsrezepte beibehielt. Der bluesige Einschlag war schon beim schwermütigen Opener "Superstitious" mit seinem alles ergreifenden Refrain zu erkennen. Mehr noch beim folgenden "Let The Good Times Rock", in dessen Strophe John Leven einen dieser typischen Slow Blues-Bassläufe spielte. Im Verbund mit den hier sehr energisch herein schneidenden Orgelschüben verliehen sie diesem völlig neue Dimensionen.
Nie sollte die Mischung aus knalligen Hair Metal und ernsthaften Blues so perfekt gelingen als auf "Out Of This World". Jene Orgelschübe waren es auch, die mit Marcellos Akkorden geniale Harmonien bildeten, die "Lights And Shadows" oder das überragende "Sign Of The Times" speisten. Dazu rockte "Ready Or Not" wieder sehr erdig nach vorne, während "Open Your Heart" ebenfalls diesen Anstrich bekam. Die eruptiven Gitarren vor dem Refrain und das kraftvollere Arrangement entlockten dieser Übernummer noch einmal neue Facetten, so dass heute die Gelehrten streiten, welche Version die bessere ist. Die ein bisschen erwachsenere Richtung stand EUROPE gut, meiner Ansicht lieferten sie damit ihr absolutes Meisterwerk ab. Leider fehlte der Singlehit, weswegen die Scheibe mit drei Millionen Einheiten enttäuschend verkaufte. Jesses, was Zeiten!

Zweieinhalb Jahre danach enterten die Schweden erneut das Studio, dieses Mal unter der Ägide von L.A.-Produzentenass Beau Hill (u.a. RATT). Doch der amerikanische Markt, auf den sie weiter drängten, hatte sich verändert, Keyboardkleister war out, nun war der Groove gefragt. Den lieferte die Band auch mit "Bad Blood", europäisch anmutende Riffstrukturen wurden nur noch selten eingesetzt, einzig das treibende "Seventh Sign" erinnert an frühere Tage. Da die Veränderung ständiger Wegbegleiter war, schufen Tempest und seine Jungs auch auf "Prisoners In Paradise" aus den neuen Gegebenheiten große Songs. Offene Akkorde waren nun angesagt, die "Halfway To Heaven" zu einer klasse Autofahrnummer machten.
Doch der fehlende Drive ließ Titel wie die Single "I´ll Cry For You" etwas cheesy ausfallen, es passte nicht mehr alles. Die Musiker waren weiter bestrebt, härtere, bluesige Stücke zu schreiben, eben das, was sie auch heute machen, mit "Girl From Lebanon" gelang ein weiterer Live-Klassiker. Hier lieferte Marcello ein großartiges Lead zur Eröffnung, ähnlich wie im Titelsong. Bezeichnenderweise landete der heute noch gespielte Bluesrocker "Yesterdays News" nur auf der Single-B-Seite, die Kontrolle ging verloren. So langsam begann das Bandgefüge zu kippen, 1992 gab man sich Freiraum für Soloaktivitäten, um anschließend wieder gestärkt anzugreifen. Es sollte elf Jahre dauern! (Pfälzer)

Bewertung: - / -

Anzahl der Songs: 9 / 10 / 10 / 12 / 12
Spielzeit: 39:53 min / 39:03 min / 39:57 min / 48:02 min / 54:58 min
Label: Epic / Sony
Veröffentlichungstermin: 20.03.2015

Kategorie: CD-Reviews