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riversideadhd.jpgSchon öfter habe ich betont, dass 2009 wieder ein gutes Prog-Jahr werden würde. Dies wurde bisher von genialen Werken der Neo-Prog-Helden PENDRAGON und IQ sowie dem starken Einstand des neuen Sängers bei SAGA bestätigt. Während PORCUPINE TREE noch etwas auf sich warten lassen, schicken die Progmetal-Könige DREAM THEATER und die polnischen Hoffnungsträger RIVERSIDE fast zeitgleich neue Alben ins Rennen.
Für Letztgenannte ist ihr viertes Werk „Anno Domini High Definition“ sicher ein wegweisendes, denn nach Abschluss ihrer eng geflochtenen Debüt-Trilogie können, ja müssen sie sich endlich stilistisch freischwimmen. Vom energischsten, auch rockigsten Werk ihrer Karriere wurde da im Vorfeld gesprochen, man durfte nach den sehr atmosphärischen Vorgängern also gespannt sein. Ein lyrisches Konzept, welches Sozialproblematik und den Kampf mit der eigenen Person in einen Fokus rückt wird aber wie auf den Vorläufern wieder vorhanden sein. Somit behält man mindestens eine Konstante im RIVERSIDE-Universum bei.

Bei der „Reality Dream“-Trilogie ging es um einen Blick in das Dunkle der Seele, um Einsamkeit, Verzweiflung, Depression und der Flucht aus dieser Realität. Das „Hochauflösende Zeitalter“, um den Albumtitel mal frei zu übersetzen behandelt die sich immer schneller drehende Welt, ständig auf der Suche nach dem neuesten, der Hatz nach Technologie, welche der Menschheit nicht immer nur Nutzen bringt. Der Mensch befindet sich heute laufend im Wettkampf, Stress bestimmt unseren Lebenslauf und dennoch schreitet alles rasanter voran als wir mit Denken hinterher kommen.

Daraus ergeben sich natürlich auch Probleme bei den Personen, wie die Unsicherheit, wenn sie erkennen, dass sie trotz allem Streben immer eingeholt werden. „Anno Domini High Definition“ ist aber keine Anklage, sondern nur eine Bestandsaufnahme einer Gesellschaft, die verlernt hat den Augenblick zu würdigen. Nicht umsonst stehen die Anfangsbuchstaben des Titels für die englische Bezeichnung des Hyperaktivitätssyndroms, denn irgendwie scheint darunter heute jeder zu leiden, mehr oder weniger. Auch die Musiker selbst in ihrer Suche nach neuen Ausdrucksformen und dem Vermeiden von Wiederholungen.

Rein vom Songwriting her ist das neue Werk eine konsequente Fortführung des auf „Rapid Eye Movement“ eingeschlagenen Weges. Die Anteile am Gesamtsound von Keyboarder Michal Lapaj haben erneut zugenommen, neben den Pianoklängen und flächigen Sounds sind es vor allem schwere Orgelklänge, welche die Hinwendung zu psychedelischeren Einflüssen deutlich machen.
Diese waren schon auf dem Vorgänger zu vernehmen, nun geht man noch mehr in Richtung der späten 60er und frühen 70er. Verharren tun RIVERSIDE aber nicht in der Vergangenheit, dafür sind sie zu zeitgemäß und innovativ.
Weiterhin kommen auf „Anno Domini High Definition“ alle bisherigen Merkmale zum Zuge wie das pulsierende Bassspiel von Frontmann Mariusz Duda. Dessen Stimme weiß nach wie vor mit einem hohen Grad an Emotionen zu überzeugen und leistet sich auch ein paar heftige Ausbrüche. Piotr Grudzinski´s Gitarrenspiel pendelt erneut zwischen traumhaften, warmen Soli und knackigen Riffs. Diese Metalattitüde wird noch durch Piotr Kozieradzki´s kraftvolles und abwechslungsreiches Drumming verstärkt.

Dennoch ist irgendwas anders und zwar auffallend. Zuerst einmal hat man das Studio und den Produzenten gewechselt, innerhalb Polens, an einen großen Namen an den Reglern wagt man sich noch nicht. Ob daher die Neuerungen herrühren kann man nicht sagen, da das Quartett ja auch selbst an Weiterentwicklung interessiert war.
RIVERSIDE anno 2009 haben die beheimateten Soundlandschaften des Neoprog und New Artrock verlassen und sind zu neuen Ufern aufgebrochen. In der jetzigen Umgebung hilft ihnen die Explosivität von RUSH und DEEP PURPLE um dort ihr Feuer zu entzünden. Auf ihrem vierten Album klingen sie wesentlich geradliniger, direkter, straffer arrangiert aber auch hektischer als zuvor.
In den langen Instrumentalpassagen machen die Polen auch nicht vor Frickelattacken, wie sie eher für DREAM THEATER typisch sind halt. Plagiatsvorwürfe braucht man aber nicht zu fürchten, dazu verstecken sie das Offensichtliche geschickt in ihrem sehr kompakten Gesamtsound. Dieser ist noch dichter und kommt daher noch originärer daher, sie bewegen sich immer mehr in ihre eigene Welt.

Und da liegt die Genialität dieser Band begründet, denn bei der Trilogie klangen sie noch sehr verträumt. Nun geht es da ja viel um (Tag-)Träume, während es auf der neuen Scheibe um eine hektische Welt geht und genau so hört sie sich auch an. Sie schaffen es wunderbar ihre lyrischen Konzepte in musikalische Bilder zu fassen und genau darum, hier noch mal zum Mitschreiben geht es im Prog.

Freilich, an „Second Life Syndrome“ kommen sie erneut nicht heran, dennoch ist es erstaunlich wie konstant sie ihr von Anfang an beängstigend hohes Niveau halten können. Es sollte mich sehr wundern, wenn sie mit „Anno Domini High Definition“ ihre Position in der Szene nicht ausbauen und neue Anhänger auch außerhalb gewinnen könnten. Und wenn sie jemals ihr Zweitwerk toppen sollten, dann prophezeie ich ihnen eine goldene Zukunft. Ab jetzt ist alles möglich! (Pfälzer)

Bewertung: 9 / 10

Anzahl der Songs: 5
Spielzeit: 44:44 min
Label: Inside Out
Veröffentlichungstermin: 03.07.2009

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