Mehrfach-Wertung der Redaktionthegathering_thewestpole.jpgDas neue und zugleich neunte Studioalbum von THE GATHERING ist ein ganz Besonderes! Nicht weil es das Beste in der langen Diskographie der Holländer geworden ist, sondern weil es das erste hörbare Lebenszeichen nach dem Ausstieg von Anneke van Giersbergen ist, die nach 13 Jahren Bandzugehörigkeit im Juni 2007 ihren Abschied bekannt gab. Für viele Fans brach damit eine Welt zusammen, denn Anneke van Giersbergen war viel mehr als nur die Sängerin, sie war das Aushängeschild von THE GATHERING, und eine der ersten Frauen, die auf breiter Ebene in der Metalszene von sich Reden machen konnte. Bei allen Soundveränderungen, die THE GATHERING zwischen 1994 und 2007 vollzogen haben (von der Pre-Anneke Zeit ganz zu schweigen), war die allseits bewunderte Sängerin immer so etwas wie die Seele der Band. Man wusste, ganz egal welchem Sound sich die Gebrüder Rutten zuwenden, allein schon wegen der einzigartigen Stimme der Frontdame, wird man es gut finden. Doch genug von der Vergangenheit gefaselt, ab jetzt widme ich mich voll und ganz der Gegenwart, die den Namen „The West Pole“ trägt, denn bekanntermaßen entschieden sich die verbliebenen vier Bandmitglieder zum Glück dafür, THE GATHERING mit neuer Sängerin fortzuführen.

Die „Neue“ im Bandgefüge kommt aus Norwegen, heißt Silje Wergeland und war bislang in Reihen der norwegischen Band OCTAVIA SPERATI tätig. Statt auf einen großen Namen, setzt man also lieber auf die große Unbekannte, denn der Name Silje Wergeland dürfte außer ein paar Norwegen-Experten bislang noch niemandem bekannt gewesen sein. Dementsprechend ist die Neugierde noch größer, als man „The West Pole“ mit zittrigen Händen zum ersten Mal in den Player schiebt (oder im Menü des ipods auswählt). Und was machen THE GATHERING? Sie spannen einen erst mal kräftig auf die Folter, denn zuerst muss man das 4 minütige Instrumental „When Trust Becomes Sound“ überstehen. Na ja „überstehen“ klingt viel zu negativ, vielmehr hat man die Ehre, einem Instrumental zu lauschen, das aufgrund seines schönen Spannungsaufbaus, nahezu perfekt „The West Pole“ einleitet. Und auch wenn man vergeblich auf ein Lebenszeichen von Silje Wergeland wartet, so fällt bei „When Trust Becomes Sound“ zumindest auf, dass die Gitarren so heftig braten, wie seit „Nighttime Birds“ nicht mehr. Gehen THE GATHERING etwa zurück zu ihren Wurzeln?

Abwarten, erst einmal kommt der große Moment. Nach 24 Sekunden des zweiten Songs „Treasure“ ist es endlich so weit, Silje Wergeland gibt ihren gesanglichen Einstand für THE GATHERING und was soll ich sagen, die Dame schafft das Kunststück, dass man sich sofort in ihre Stimme verliebt!
Diese klare, hohe und eindringliche Stimme, ich bin hin und weg. Sicherlich, die Ähnlichkeiten zu ihrer Vorgängerin in Sachen Klangfarbe und Gesangslinien sind unüberhörbar, was definitiv den ein oder anderen Kritiker auf den Plan rufen wird, sie sei nur die Kopie. Aber ich behaupte, es gibt keine bessere Nachfolgerin für Anneke van Giersbergen als diese Norwegerin Silje Wergeland.

Jedenfalls hat man bereits nach den ersten beiden Songs das Gefühl, dass da auf „The West Pole“ nichts schief gehen wird, dass THE GATHERING auch im zwanzigsten Jahr ihres Bestehens immer noch zu den prägenden Bands gehören (wenn auch nicht mehr zu den wirklich Erfolgreichen). Auch das an dritter Stelle platzierte, mit einem rockigen Groove unterlegte „All You Are“, verfestigt diesen Eindruck. Wer sich einen Eindruck von den THE GATHERING des Jahres 2009 verschaffen will, höre am besten mal in diesen Song rein, ganz einfach weil er der Zugänglichste ist.     
Aber Vorsicht, dieser rockige Beginn von „The West Pole“ steht nicht stellvertretend für die gesamte Scheibe, wie einige vielleicht bereits gehofft haben, ganz im Gegenteil, das Material auf „The West Pole“ kommt an einigen Stellen sehr ruhig und noch verträumter daher, als auf dem Vorgänger „Home“. Man höre nur mal die fünf Songs „The West Pole“ (die Vergleiche zu den Schweden von PAATOS drängen sich förmlich auf), „No Bird Call“ (verdient den Untertitel Schlafmusik; sehr anstrengend, aber schön, sage ich euch), „Capital Of Nowhere“ (intoniert von Anne Van Den Hoogen; nicht ganz so stark), „You Promised Me A Symphony“ (eine reinrassige Pianoballade, bei der Silje Wergeland am Besten unter Beweis stellen kann, was für eine begnadete Sängerin sie ist) und „Pale Traces“ (eingesungen von Marcela Bovio; das Highlight des Albums) hintereinander. Bei dieser geballten Ladung der sanften Ohrberührungen fällt es schwer sich zu verinnerlichen, dass THE GATHERING mal eine Metalband waren. Im Gegensatz zum grandiosen Vorgänger „Home“ fehlen auf „The West Pole“ ein wenig die spontanen Momente, jede Sekunde des Albums wirkt perfekt durchdacht. War "Home" auch ein Album für die Bühne, so ist "The West Pole" überwiegend ein Album für's heimische Sofa.   

Erst beim vorletzten „No One Spoke“ geht’s wieder etwas rockiger zur Sache, nur leider gehört dieser Song nicht zu den Highlights im Repertoire der Holländer, um es vorsichtig auszudrücken. Nichts gegen ruhige, atmosphärische Songs, die gefallen mir allesamt auch auf „The West Pole“ sehr gut, aber etwas mehr Rock (von Metal will ich gar nicht sprechen) hätte es schon sein können. Die etwas ungünstige Reihenfolge der Songs verstärkt diesen Eindruck noch zusätzlich. Würde auf dem Cover nicht THE GATHERING drauf stehen, wäre „The West Pole“ nur ganz am Rande neckbreaker-kompatibel, und die Vorstellung, diese Songs auf den Bühnen der bekannten Metalfestivals zu hören, ist für mich undenkbar. Dafür hebt man sich den schönsten Refrain bis ganz zum Schluss auf, so dass „A Constant Run“ ein gelungener Abschluss, eines mehr als gelungenen Albums darstellt.
Zu ihren Wurzeln gehen THE GATHERING also auch auf „The West Pole“ nicht zurück, um meine vorhin aufgeworfene Frage zu beantworten, vielmehr verbinden sie alle Bestandteile der letzten 10 Jahre zu einem Ganzen. An dieser Stelle bin ich echt froh, dass wir von Neckbreaker auf die Angabe des Genres verzichten, denn auf „The West Pole“ sprengen THE GATHERING endgültig alle Grenzen. 

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass THE GATHERING trotz neuer Sängerin (die beiden Gastsängerinnen dürfen an dieser Stelle nicht vergessen werden) nach wie vor so einzigartig klingen wie in der Vergangenheit, und das ist auch mehr als gut so. Für Silje Wergeland war es definitiv keine leichte Aufgabe, Anneke van Giersbergen zu beerben, doch diese löst sie mit Bravour. Sie mag vermutlich nicht das Charisma und die Ausstrahlung ihrer Vorgängerin haben, und wahrscheinlich wird sie das auch nie haben, trotzdem weine ich heute Anneke keine Träne  mehr nach, und das hätte ich vor zwei Jahren nun wirklich nicht gedacht. (Maik)

 

Bewertung: 8,5 / 10


Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 54:19 min
Label: Psychonaut Records
Veröffentlichungstermin: 08.05.2009

Wertung der Redaktion
Brix Mika Holger Seb Reini Bernie Pfaelzer
7 6,5 6 8 7 7 8
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