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martinorford_theoldroad.jpgEs hat sich bereits angedeutet, als MARTIN ORFORD im vergangenen Jahr für den Außenstehenden völlig überraschend die britische Proginstitution IQ verließ, und Ende des Jahres, nach der Veröffentlichung von „The Old Road“, wird es nun endgültig sein: MARTIN ORFORD verlässt nach über 30 Jahren, in denen er die progressive Szene mit Bands wie THE LENS, IQ und JADIS nachhaltig beeinflusste und bereicherte, die Welt der Musik. Ein Abschied auf Raten sozusagen. Desillusioniert über die Entwicklungen der letzten Jahre, angefangenen bei der Internetpiraterie bis hin zum Kurzfristdenken im Business, zieht MARTIN ORFORD einen Schlussstrich unter sein Dasein als Musiker.
Dabei hatte ich immer die Hoffnung, die progressive Szene könnte so etwas wie die letzte Bastion der Vernunft sein, in der die besondere Beziehung zwischen Hörer und Musik nicht zu solch bedenklichen Entwicklungen führt. Besonders schade ist, dass der Brite auch sein kleines Label Giant Electric Pea sterben lassen wird, ohne das der heutige Erfolg einer Band wie SPOCK’S BEARD in Europa nicht möglich gewesen wäre. Glücklicherweise verabschiedet sich MARTIN ORFORD nicht still und heimlich, sondern er legt mit „The Old Road“ nach dem 2000er Solodebüt „Classical Music And Popular Songs“ vorher noch sein zweites und letztes Solowerk vor.

Doch „Solowerk“ ist nur die halbe Wahrheit, denn wie es sich gehört, gaben sich viele Weggefährten die Klinke in die Hand, um dem Meister der schwarzen und weißen Tasten „die letzte Ehre zu erweisen“. So sind neben Orford selber, der mit seinem variantenreichen und immer songdienlichen Spiel über allem thront, u.a. John Wetton (ASIA), Nick D’Virgilio und Dave Meros (SPOCK’S BEARD), John Mitchell (ARENA, KINO, IT BITES), Gary Chandler (JADIS), Andy Edwards (IQ) und Steve Thorne auf „The Old Road“ zu hören. Und trotz dieser Vielzahl an Gästen wirkt das gesamte Album wie aus einem Guss.  

Könnte man jetzt erwarten, dass „The Old Road“ ein tieftrauriges oder bitterböses Album geworden ist, mit dem MARTIN ORFORD noch einmal seinen Frust von der Seele schreiben wollte, so kann man bereits nach erstmaligem Hören feststellen, dass dies keineswegs der Fall ist. Selbstverständlich hat das Album gerade in seinen ruhigen Momenten auch eine traurige Note, doch es finden sich auf „The Old Road“ auch genügend Beispiele, wo positive Stimmungen zum Vorschein kommen. Trotz dieser Stimmungsschwankungen, ist das verbindende Element aller Songs diese mit Händen greifbare Emotionalität, die maßgeblich dazu beiträgt, dass „The Old Road“ ein großartiges Album geworden ist.

Als einer von drei Longtracks (etwa 10 Minuten) eröffnet „Grand Designs“ das Abschiedswerk, und wie es sich für eine Progressive- Platte gehört (auch wenn Martin in den Liner Notes erläutert, dass „The Old Road“ kein Progressive Rock Album sei), beginnt die Eröffnungsnummer mit einem längeren, gut 2-minütigen, instrumentalen Vorspiel. Und was sofort ins Ohr springt und einem die Freudenstrahlen ins Gesicht zaubert, ist dieser warme Sound des Albums. Rob Aubrey hat diesbezüglich ganze Arbeit geleistet. Bei einem solchen Sound geht mir das Herz auf.
Und zu meiner Überraschung muss ich feststellen, dass MARTIN ORFORD auch als Sänger keine schlechte Figur abgibt, was zusätzlich dazu beiträgt, dass „Grand Designs“ ein großartiger Opener ist, der stellvertretend für ein großartiges Album steht. Mit „Power And Speed“ folgt das erste von zwei Instrumentals auf dem Fuße und macht seinem Namen alle Ehre. Bei den flotten Pianoläufen zu Beginn darf sich MARTIN ORFORD zum ersten Mal so richtig austoben, der Bass von Dave Meros pumpt wie man es von SPOCK’S BEARD gewohnt ist und John Mitchell steuert gleich mehrere mitreißende Soli bei. Von der Stimmung her ist „Power And Speed“ sicherlich das positivste und rockigste Stückchen auf „The Old Road“. Da passt es gut ins Bild, dass bei der Ballade „Ray Of Hope“ zum ersten Mal das Tempo gedrosselt wird. Und wenn sich GENESIS noch einmal mit Peter Gabriel vereinen sollten, dann klingen sie vermutlich genau so wie bei dieser hoffnungsvollen Ballade; dafür sorgen vor allem die stimmlichen Ähnlichkeiten zwischen David Longdon und Peter Gabriel.
Das wieder fröhlichere „Take It To The Sun“ steht dann ganz im Zeichen von John Wetton, der den Leadgesang übernimmt, und wäre auf der aktuellen ASIA Scheibe mit Sicherheit das Highlight gewesen. Dieser Song klingt jedenfalls mehr nach den frühen ASIA als alles, was die britische Supergroup zwischen „Alpha“ und „Phoenix“ veröffentlichte. 

Und dann kommt er, der titelgebende Song, eingeleitet von einem wunderbaren Pianovorspiel („Prelude“), der fast alles in den Schatten stellt, was in diesem Jahr veröffentlicht wurde. Bei diesem Song stimmt einfach alles, angefangen vom sehr persönlichen Text, über die großartigen akustischen Gitarrenläufe und Chorgesänge, bis hin zum grandiosen Refrain. Obendrauf packt John Mitchell noch ein mitreißendes Solo und die Fidel von Colm Murphy bringt bei aller Abschiedsstimmung noch einen fröhlichen Touch rein.     
Im Verhältnis zu diesem überragenden Highlight fällt die IQ Referenznummer „Out In The Darkness“, die stimmlich von Steve Thorne in Szene gesetzt wird, ein ganz klein wenig ab, trotzdem würde ich diese Nummer aufgrund ihrer Eingängigkeit als Anspieltipp empfehlen.

Das bombastisch-dramatische „The Time And The Season“ (der längste Song des Albums), bei dem erneut John Wetton als Sänger fungiert, kommt dann erneut im ASIA Stile daher (die Stimme von John Wetton ist einfach untrennbar mit ASIA verbunden) und markiert bereits die Einleitung zur letzten Szene. Und dann ist es so weit, nach knapp einer Stunde setzt das pragmatisch betitelte „Endgame“ (so etwas wie die Fortsetzung von „Ray Of Hope“) im Stile von MARILLION zu „Season’s End“/“Brave“ Zeiten den großartigen Schlusspunkt. Von Vogelgezwitscher begleitet fällt der Vorhang, die Musiker verabschieden sich, und ein paar imaginäre Tränchen kann man sich nicht verkneifen.     

Wie euch sicher aufgefallen sein wird, ist das Wort „großartig“ in den vorigen Absätzen häufiger gefallen, ganz einfach weil „The Old Road“ ein großartiges Album mit ausschließlich großartigen Songs geworden ist. Sollte „The Old Road“ tatsächlich das letzte musikalische Lebenszeichen des MARTIN ORFORD sein (bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt), dann ist es ein perfektes Erbe, das nochmals deutlich macht, dass die Lücke, die er als Musiker und Songschreiber hinterlässt, nicht zu füllen sein wird. Danke für viele unvergessene musikalische Momente! (Maik)


Bewertung: 9,5 / 10

Anzahl der Songs: 9
Spielzeit: 58:03 min
Label: Inside Out/SPV
Veröffentlichungstermin: 07.11.08

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