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evergrey_torn.jpgDas 3. Album einer Band gilt nach herrschender Meinung als das „make it or braek it“ Album. Von daher haben EVERGREY eigentlich alles richtig gemacht, denn ihr 3. Album „In Search Of Truth“ war 2001 ein absoluter Kracher und ist das objektiv wohl beste EVERGREY Werk. Doch bekanntermaßen bestätigen Ausnahmen auch die Regel und so blieb den Schweden sowohl mit „In Search Of Truth“ als auch mit den starken Nachfolgern „Recreation Day“ (2003), „The Inner Circle“ (2004) und „Monday Morning Apocalypse“ (2006) ein größerer Durchbruch verwehrt.
Nun, nach dem Wechsel zum wesentlich größeren Steamhammer/SPV Label, soll mit Album Nr. 7 „Torn“ endlich der Aufstieg in die Spitzengruppe der internationalen Metalszene gelingen. Dass man mit Jari Kainulainen (Ex-STRATOVARIUS) einen prominenten Neuzugang am Bass begrüßen darf, ist bei diesem Unterfangen sicher kein Nachteil.


Und dieser Aufstieg schien generalstabsmäßig geplant zu sein, an keinem Album haben die Schweden so lange gearbeitet wie an „Torn“, sogar eine bereits bestätigte Tour mit BRAINSTORM hat man sausen lassen, um im Studio noch ausgiebiger an den Songs zu feilen. Ob sich diese Mehrarbeit gelohnt hat, ist schwer zu sagen, denn der Albumtitel trifft ziemlich genau mein Befinden nach vielfacher Zufuhr des Albums. Zerrissen bin ich! Bin ich enttäuscht, bin ich zufrieden, bin ich begeistert? Von allem ein wenig, euphorisch bin ich aber jedenfalls nicht!

Dabei hätte alles so schön sein können, denn EVERGREY gehen nach dem harten, modernen, kalten und sehr geradlinigen Vorgänger auf „Torn“ wieder einen Schritt zurück hin zur Progressivität und Verspieltheit, allerdings ohne den Song als solchen aus den Augen zu verlieren. D.h. „Torn“ klingt wie eine warme Ausgabe von „Monday Morning Apocalypse“.
Die Trademarks, die EVEGREY so einzigartig machen, sind also nach wie vor vorhanden. Der glasklare kraftvolle Gesang von Tom S. Englund, das variantenreiche, zwischen Aggression und Emotion pendelnde Gitarrenspiel, die atmosphärischen Keyboardeffekte und die nie kitschigen Pianoläufe. All das machten und machen EVERGREY zu den Marktführern in Sachen dunkler, melodisch-progressiver Musik.
   
Im Gegensatz zu den formidablen Vorgängern fehlt dieses Mal einfach das durchgehend ganz hohe songschreiberische Niveau. „Torn“ wirkt an einigen Stellen zu uninspiriert, und vor allem fehlen diese wahnsinnigen Refrains wie z.B. bei „Masterplan“ oder „A Touch Of Blessing“ oder Arrangements wie in „When The Walls Come Down“, die einen noch nachts verfolgen. Variierte man auf den früheren Alben das Tempo und die Härte zwischen den einzelnen Songs, so besteht „Torn“ aus einem gefühlten langen Midtempotrack. Heftige Eruptionen oder Balladen sucht man vergebens. Alle 11 Songs klingen sehr ähnlich, es bleibt erst einmal wenig hängen, „Torn“ muss man sich quasi Umlauf für Umlauf erarbeiten.

Doch diese Arbeit lohnt sich, denn nach einer gewissen Zeit wird man feststellen, dass „Torn“ keineswegs so schlecht ist, wie man bis jetzt meinen könnte.
Der Opener „Broken Wings“ (der Anspieltipp für alle, denen EVERGREY noch ein unbeschriebenes Blatt sind) oder das folgende „Soaked“, das auch auf „In Search Of Truth“ eine gute Figur abgegeben hätte, sind Songs, die mit den Bandklassikern auf Augenhöhe stehen. Und auch gegen Ende hat man mit dem großartigen Titeltrack und dem längeren „These Scars“, bei dem Carina Englund zu guter Letzt endlich auch noch zum Zuge kommt, noch zwei Songs auf Lager, die ebenfalls voll und ganz überzeugen können.
Dazwischen muss man sich aber durch Songs wie „Fail“ oder „Nothing Is Erased“ kämpfen, die für EVERGREY Verhältnisse nur Durchschnitt sind. Und auch bei an sich wirklich guten Songs wie „When Kingdoms Fall“ oder „In Confidence“ fehlt irgendwie das i-Tüpfelchen, um aus guten Songs sehr gute zu machen.

Keine Frage, „Torn“ ist ein gutes Album geworden, das alle EVERGREY Fans zumindest zufrieden stellen dürfte. Im Vergleich zu den früheren Alben fallen die Highlights etwas unspektakulärer aus, dafür schafft man es einmal mehr, wirkliche Ausfälle zu vermeiden, d.h. „Torn“ lässt sich am Stück wirklich gut hören. Ob „Torn“ allerdings das richtige Album ist, um endlich in die verdiente Spitze aufzusteigen, wage ich zu bezweifeln und damit schließt sich der Kreis. (Maik)


Bewertung: 7,5 / 10

Anzahl der Songs: 11
Spielzeit: 53:42 min
Label: Steamhammer/SPV
Veröffentlichungstermin: 19.09.2008

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