Wahrscheinlich erkennt weltweit jeder Mensch, der ein Radio besitzt, beim ersten Takt des „spacigen“ Gitarrenriffs „The Joker“. Dieser Song hat sich, ob man ihn mag oder nicht, tief im Unterbewusstsein festgesetzt. Der bereits 1973 aufgenommene Nr. 1-Song in den USA markierte den Wendepunkt in Steve Millers Karriere und war derart erfolgreich, dass er 1990 als Titelmusik eines Levi`s Werbesport auch in Europa die Charts anführte und endgültig zum Kult-Hit avancierte.

Steven Miller wurde 1943 in Milwaukee geboren und erlernte bereits im Alter von 5 Jahren das Gitarrenspiel. Sein Gitarrenlehrer war hierbei kein geringerer als Lester William Polfus, besser bekannt als Les Paul, ein guter Freund der Eltern des Protagonisten, beide selbst Jazz-Enthusiasten.

Zu Beginn seiner musikalischen Karriere in den Sechzigerjahren spielte Steve Miller in unterschiedlichen Bands und experimentierte dem Hippie-Zeitgeist entsprechend mit psychedelischen, teils bluesigen und langatmigen Musikstücken, bis er 1967 die STEVE MILLER BAND gründete und mit ihr beim Monterey Pop Festival auftrat.

So war das Album „The Joker“ bereits das achte Studioalbum von Steve Miller. Der „allmächtige“ Titelsong, der textlich nicht tiefgründig, aber durch sein Gesamtkonzept, insbesondere des äußerst markanten Gitarrenriffs, nicht mehr aus dem Gedächtnis verschwindet, verbreitet seit 50 Jahren stets eine unbeschwert gute Laune. „The Joker“ wird wohl unsterblich bleiben und gibt mit seinen Wortspielen einiges über den Verfasser preis und spielt auf dessen frühere Werke an: er ist der „Space Cowboy“, der „Gangster Of Love“, „A Smoker, A Joker, A Midnight Toker“. Die Musikpresse zog seiner Zeit über die banalen Lyrics her, aber da standen ganz große Rock-Größen dem in Nichts nach. Und trotz seiner Simplizität kreierte Steve Miller einen ganz neuen Sound, der den Song (und einige nachfolgende) als festen Bestandteil im weltweiten Repertoire der AOR-Radiosender unabdingbar macht.

Nun erscheint am 15. September zum 50-jährigen Jubiläum ein umfangreiches Box-Set, „J 50: The Evolution Of The Joker“. Ich besitze das Originalalbum noch als Langspielplatte und jeder Besitzer weiß, was für ein unterirdisch schlechtes Klangvolumen die Scheibe aufweist. Damit ist jetzt Schluss; die Aufnahmequalität von „J 50 The Evolution Of The Joker“ ist endlich dem Album würdig. Das von Miller selbst kuratierte Album enthält die Original-Albumtitel chronologisch neben bisher unveröffentlichten Aufnahmen.

„J 50: The Evolution Of The Joker“ ist eine massive Fanbereicherung und in erster Linie auch für echte Fans der STEVE MILLER BAND prädestiniert, denn auf den Longplayern befinden sich neben den Originaltiteln persönliche Archivaufnahmen des Protagonisten, Studio-Outtakes, rare akustische Liveaufnahmen wie "Children Of The Future", "Brave New World" oder "Space Cowboy" anlässlich einer Tour im Jahr 1972, sowie den Songs vorangestellten, persönliche Kommentare, die den Entstehungsprozess zum „The Joker“-Album verdeutlichen.

Zu Unrecht wurde Steve Miller stets durch seinen Pop-lastigen Überhit stigmatisiert. Viel zu sehr liegen seine Wurzeln im Blues. Dies zeigt er eindrucksvoll in klassischen Coverversionen wie „Mary Lou“ oder „Your Cash Ain`t Nothin`But Trash“. Grandios präsentiert er den Blues-Shuffle „Lovin`Cup“ mit der dominierenden Harp-Begleitung oder im melancholischen Slow-Blues „Evil“. Robert Johnsons „Come In My Kitchen“ ist ebenfalls Blues in Reinkultur. Das rockige, mit Jazz-Attitüden gekennzeichnete „Shu Ba Da Du Ma Ma Ma Ma“ ist innovativ, die Country-lastige Pop-Ballade „Something To Believe“ strahlt einfach gute Vibes aus. Die bislang unveröffentlichten Tracks „Lidi“ im lässig lockeren Country-Style und „Travellin“ als akustischer Prelude-Track zum „Joker“ sind höchst interessant für Fans, wenn man in die kreative Arbeitsweise des Songwritings von Steve Miller eintauchen will.
„Die 3LP + 7″-Box und das 2CD-Set sind eine von Miller kommentierte Reise, die die "Entwicklung" jedes Songs dokumentiert, der auf „The Joker“ erschien. Die Box und die 2CDs enthalten Linernotes von Steve Miller und Anthony DeCurtis“.

Zitat Steve Miller: "Um ein Hit-Album einzuspielen, dachte ich, dass es am besten ist, fünf Hooks zu haben. Nicht eine, nicht zwei, nicht drei, nicht vier, sondern fünf, wenn man wirklich einen Hit liefern will. Nehmen Sie zum Beispiel „The Joker“. Manche Leute nennen mich den Space Cowboy'. Was zum Teufel war das? Dann geht es weiter und man wird wieder aufmerksam: die Slide-Gitarre, der Refrain, die Harmonie, die Wolfspfeife. Das passt alles zusammen. All diese Dinge sind nur Elemente des Schreibens. Man lernt diese Elemente, und man spielt immer mit ihnen.“

Steve Miller wegen seiner Hitdichte in eine Schublade zu pressen, erscheint da viel zu einfach. Zu umfangreich bedient er sich der unterschiedlichen Genres des Blues, Country, Jazz, Rock und eben auch der Popmusik. Dennoch hat er sich durch seinen lässigen und warmen Sound ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Als Fan des „Space Cowboys“ bin ich von den „Early Versions“, und deren unterschiedlichen Songstrukturen bis zum Endprodukt der jeweiligen Nummern begeistert. Auch die akustischen Live-Aufnahmen sind ein Hörgenuss. Ob das umfangreiche Set für jedermann geeignet ist, bezweifle ich allerdings, selbst bei der herausragenden Klangqualität.
Dennoch; dieses Album hat die Expansion im Zuge des 50-jährigen Jubiläums in vollem Umfang verdient. So bleibt der Wunsch, dass die sogenannten Klassik-Rock-Radio-Stationen statt dem „Joker“ auch einmal Songs aus dem unerschöpflichen Fundus der STEVE MILLER BAND dem Hörer näherbringen. Aber das wird wohl eine Illusion bleiben. (Bernd Eberlein)

Bewertung:

 8,5 / 10

Label: Universal Music
Anzahl der Songs: 43 (auf 2 CDs)
Spielzeit: --:-- min
Veröffentlichungstermin: 15.09.2023