The Damned - A Night Of A Thousand Vampires

TheDamned London Cover 1000pxWenn THE DAMNED Punk im herkömmlich assoziierten Sinn spielten, haben sie das wohl nur am Anfang ihres Bestehens im Jahr 1976 getan. So fungierte ihre Debut-Single „New Rose“ bekanntermaßen als erste „Punk-Single“ in den Charts und das einfach dahin gerotzte „Neat Neat Neat“ symbolisiert das Genre von schnellen, einfachen, zwei bis drei-Minuten Song perfekt. Nur sollte man Punk halt nicht generell mit musikalischem Dilettantismus gleichsetzen, denn THE DAMNED waren technisch viel zu versiert, entwickelten sich und ihren Sound ständig weiter, und ihre Kreativität kannte keine Grenzen. Wahrscheinlich waren und sind sie dennoch mehr „Punk“ als viele große Band, die sich gerne mit dem Image umgeben. Mit Sicherheit sind „THE DAMNED“ Pioniere, die den Punkrock mitbegründet haben, vor THE CLASH, THE STIFF LITTLE Fingers und zumindest zeitgleich mit den SEX PISTOLS, allerdings entwuchsen sie der Stigmatisierung sehr schnell.

Die bis heute äußerst aktive Band unterlag unzähligen Besetzungswechseln. Nur der exzentrische Sänger Dave Vanian, immer gekleidet wie ein englischer Gentleman zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit seinem Faible für alte Stummfilm-Klassiker des Genres Horror, der markanten silbernen Haarsträhne, der unverkennbaren Stimme und der völlig gegensätzliche Gitarrist, der Provokateur mit seinem roten Barett, Ray Burns, besser bekannt als Captain Sensible, verbindet offensichtlich eine Hassliebe, die sie bis zum heutigen Tag immer wieder zusammenkommen lässt. Die unterschiedlichen Charaktere haben die Band jedoch immer so einzigartig und interessant wirken lassen. Vanians unnahbare und coole Bühnenpräsenz hat oft mehr „Fuck You“-Charakter als so manch herausgebrüllter Hass der PISTOLS.

Die tiefe und düstere Barriton-Stimme von Dave Vanian und sein dunkles Image führten auch schnell dazu, ihn Mitte der Achtziger Jahre als Vorreiter von Gothik oder New Wave zu sehen aber eigentlich sind THE DAMNED zu experimentell, um sich in eine Schublade stecken zu lassen. THE DAMNED sind dennoch eine Punkband. Sie kamen aus der Unterschicht, hielten dem Establishment den Spiegel vor, waren knallhart und spielten in versifften Kellern und Bars, oder wie Captain Sensible, der Toiletten in der Anfangszeit reinigte und bis zum Exzess Jimi Hendrix-Soli übte, im Interview erklärte: „Ich glaube nicht, dass es dort, wo wir spielten, GREEN DAY gefallen hätte-und Geld verdiente man damit auch kaum“. Auch bezeichnete er die SEX PISTOLS als „von Vivienne Westwood und Malcolm Mc Laren gecastete, ausstaffierte Marionetten und Punk-Boy-Band. Du musstest nicht in den McLaren & Vivienne-Shop gehen und dir eine Bondage-Jacke für 200 Pfund kaufen, um Punkrocker zu sein.“

„A Night Of A Thousend Vampires“ ist visuell ein völlig durchgeknalltes Live-Erlebnis der Extraklasse und kommt passend zu Halloween am 28. Oktober 2022 auf den Markt. Dave Vanian lebt hier sein Faible der großen Grusel-Stummfilm-Ära aus und verwandelt das renommierte Londoner Palladium in eine dunkle Vampirgruft. Schon das Plattencover weist starke Reminiszenzen an die Hollywood-Klassiker aus den zwanziger Jahren auf und lässt das Konzert wie eine Hommage an Bela Lugosi (Dracula), Maila Nurmi (Vampira) oder Max Schreck (Nosferatu) wirken. Das Werk kommt in unzähligen Versionen heraus. Mir hat die Doppel-CD/Blu-ray-Version zur Rezension vorgelegen. Und die Blu-ray anzusehen macht richtig Laune und ist extrem unterhaltsam. Im Prolog, in schwarz-weiß gehalten, zieht ein von Pferden gezogener Leichenwagen durch London, an einem Spalier aus Konzertbesuchern vorbei, die allesamt als Vampire oder Zombies gekleidet sind. Den Leichenwagen ziert ein Blumenbukett mit dem Schriftzug THE DAMNED. Dann wird der geöffnete Sarg zur Bühne des Palladiums verbracht was ziemlich abgefahren ist.

Die Live-Show ist nicht nur ein Konzert, sondern eine hochklassige Kombination aus Theater, Musical und Zirkus, perfekt als Horrorshow choreografiert, mit den integrierten Songs von THE DAMNED aus der über 40-jährige Bandgeschichte. Die Band wird dabei teilweise unterstützt von einem großartigen klassischen Orchester. Dave Vanian mutiert während der Show vom eleganten Bela Lugosi-Graf Dracula zu Nosferatu. Hinzu kommen Untote, leicht bekleidete Trapezkünstlerinnen, die Pyrotechnik verschießen, Lack- und Ledervampire, Feuerschlucker, Schlangenmenschen und weitere äußerst skurrile Gestalten. David Vanians Stimme ist in Topform; im Anzug, mit Handschuhen, Sonnenbrille und seiner eigenwilligen Mikrofonhaltung wirkt er extrem cool und distanziert. THE DAMNED kombinieren mit Leichtigkeit Songs aus allen Phasen ihrer Karriere zu einer unvergesslichen musikalischen Erfahrung. Sie werden komplettiert durch Drummer Andrew Pinching, dem Bassisten Paul Gray (ehemals UFO) und dem völlig irren Keyboarder Monty Oxymoron, der in seiner Kleidung aussieht wie ein durchgeknallter Professor.

Einsteiger ist das nur mit Piano begleitete, äußerst mystische und bedrohlich wirkende „The Beauty Of The Beast“ vom „Grave Disorder“ Album, welches die klassischen Stummfilm-Melodien aufgreift. Dann wird es schnell elektrisch mit dem grandiosen Klassiker „Wait for The Blackout“, vom vierten Studioalbum „Black Album“, dessen progressive Stilvielfalt schon manchen Kritiker überforderte. „Plan 9 Channel 7“ folgt und Captain Sensible stellt seine Versiertheit an der Gitarre eindrucksvoll unter Beweis. Das schnelle „Standig On The Edge Of Tomorrow“ treibt nach vorne mit markantem Gitarrenriff und eingängigem Gesang. „Grimly Findish“, die Geschichte vom „Bad Lad Bad Boy“, vom 85er „Phantasmagoria“-Album ist verstörend, opulent, exzentrisch und genial. Weiter geht’s durch alle Epochen; genial kommt das brachiale Liebeslied „I Just Can`t Be Happy“ vom 1979er Album „Machine Gun Etiquette“; Punk in Reinkultur.

Auch der größte Hit der Band, das Barry Ryan-Cover „Eloise“, in der Studioversion von 1986 als New Wave-Hit sehr „glatt gebügelt“, kommt mit der harten Gitarrenbegleitung des Captains wesentlich besser. Die Symbiose mit dem Orchester funktioniert ausgezeichnet. Der DOORS-Klassiker „People Are Strange“ ist dank der sonoren Stimme Dave Vanians äußerst gelungen. Eines der Highlights ist „Curtain Call“, ebenfalls vom „Black Album“; das 17-minütige Epos, welches völlig unterschiedliche Stimmungen und Wendungen vereint; mit klassisch inspirierter, elegischer Anfangsphase, sich ständig steigernd mit harten Rockpassagen, die wiederum in einen Klavier-Part mit Streicher-Untermalung münden und schließlich in einem Hardrock-Gewitter mit Captain Sensibles Hammer Solo und brachialem Drumming dem Ende entgegensteuert. Das klassische Konzertarrangement ergänzt die Band auch eindrucksvoll bei „Tightrope Wal“ und „The Dog“.

Die Verwandlung Vanians von Bela Lugosi in Nosferatu ist grandios. Der Mann lebt das Theater geradezu. Die Kombination der Songs „Bela Lugosi`s Dead“ und dem gnadenlosen Punk-Kracher der ersten Stunde „Neat Neat Neat“ läutet die Schlussphase ein an dessen Ende mit dem düsteren „Black Is The Night“ ein klasse Akzent gesetzt wird. Hier liegt ein Live-Dokument der Extraklasse vor, eine unvergleichliche Hommage an eine großartige, vielmals unterschätzte Band und der Erkenntnis: „Punks Not Dead“. (Bernd Eberlein)

Bewertung:

Ebi8,0 9 / 10

Label: earMusic
Anzahl der Songs: 17
Spielzeit: 93:12 min (CD) / 96:23 (BluRay) 
Veröffentlichungstermin: 28.10.2022

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