Die Ärzte - Hell

dieärzte hellWenn ich irgendwo lese, dass DIE ÄRZTE angeblich eine Punkband sind, dann muss ich immer etwas schmunzeln, denn von den wahren Attributen und Attitüden der Punkmusik ist das Berliner Trio eigentlich bereits seit seiner Gründungszeit recht weit entfernt. Sei’s drum, ähnlich wie die Band KAPELLE PETRA mag ich DIE ÄRZTE vor allem wegen ihres Humors und der Selbstironie, die Farin, Bela und Rod mitbringen. Dass auf den Alben der Berliner rein musikalisch betrachtet auch einiges an musikalischem und textlichem Nonsens dabei ist, dass muss man da dann einfach als gegeben hinnehmen und akzeptieren..

Das gilt insbesondere auch für die letzten drei, bis vier Alben der Band, denn seit der kreativen Hochphase nach der Reunion mit „Die Bestie In Menschengestalt“ (1993) und „Planet Punk“ (1995) fehlte der Band zunehmend der rote Faden bei der konzeptionellen Ausgestaltung der Alben.

Gerne würde ich nun schreiben, dass dies auf dem neuen Album „Hell“, das einen schönen doppeldeutigen Titel trägt, wieder besser geworden ist, aber leider ist dem nicht so. Acht Jahre nach dem recht poppig geratenen „auch“ Album verwirren mich DIE ÄRZTE mit einem Album, das vor allem in der zweiten Hälfte sehr skurrile Züge annimmt. Oder um eine Zeile aus dem Song „Plan B“ zu zitieren, „Hell“ wirkt über weite Strecken wie „eine Sackgasse der Evolution“.

Wie fast nicht anders zu erwarten, sind es dann vor allem auch die Bela B und die Rod Nummern, die auf dem Album die Füllerposition einnehmen, die Sachen von Farin hingegen kann man überwiegend ganz gut hören und bieten einem den typischen „Gute-Laune-Mix“ der ÄRZTE. Kein Wunder also, dass Farin mit seinem FARIN URLAUB RACING TEAM recht erfolgreich unterwegs ist, wenn DIE ÄRZTE mal Pause machen, und das haben sie sogar ziemlich oft gemacht in den letzten beiden Dekaden, während sich für die sehr speziellen Solosachen von Bela kaum einer ernsthaft interessiert.

Wie immer im Leben gibt es Ausnahmen und auf dem „Hell“ Album trägt diese den verwirrenden Titel „Achtung: Bielefeld“, wobei die Stadt Bielefeld hier als Synonym für die im Text angepriesene Langeweile stehen soll. So vermute ich zumindest einmal. Das ist ganz klar einer der besseren Bela Songs, wenngleich er sich in diesem Kontext besser das Zitat mit „der Mutter in Aleppo“ gespart hätte, da es einfach nicht passt, weil es eine Ernsthaftigkeit suggeriert, für die DIE ÄRZTE durchaus auch stehen können, aber nicht bei diesem Lied.

Ein weiteres Bela Highlight ist etwas später die Textzeile „Was man sehr schnell vergisst, wenn der Künstler glücklich ist, verlässt ihn all sein Mut – denn nur im Dunkeln geht’s ihm gut“. Die Geschichte der Musik lehrt uns, dass in diesen Worten einiges an Wahrheit drin steckt, warum besagter Künstler dann aber sogleich zum „Clown aus dem Hospiz“, so der Name des Songs, erschließt sich mir nicht. Wirklich super ist der Song selber auch nicht geraten, aber die Txetzeile hat was.

Und so entwickelt sich „Hell“ dann im Laufe seiner Zeit zu einem recht widersprüchlichen Album, bei dem sich Licht und Schatten abwechseln, nicht in chronologischer Reihenfolge, aber es gibt auf dem neuen DIE ÄRZTE Album keine drei Songs am Stück, die man bedenkenlos empfehlen kann. Manches kann man sich vielleicht noch schön hören, das von Countrymusik beeinflusste „Liebe Gegen Rechts“ zum Beispiel, bei manch anderen Sachen wie „Polyester“ (eine Rod Nummer) oder „Fexxo Cigol“ wiederum fragt man sich wirklich, Leute, was soll der scheiß? Auch weitere Bela Nummern wie „Einmal Ein Bier“ oder „Alle Auf Brille“ hinterlassen eher Fragezeichen als Ausrufezeichen, erstgenannter Song hat immerhin noch einen wahnwitzigen Text, wohingegen „Alle Auf Brille“ mich wegen seiner Peinlichkeit verstärkt aggressiv macht. Vielleicht finden das Nicht-Brillenträger ja lustig?

Auch das abschließende Anti-AFD Statement „Woodburger“ ist musikalisch betrachtet eher ein Rohrkrepierer, verdient aber wegen seines Inhaltes natürlich trotzdem seinen Platz auf diesem Album und beschert uns die Preisfrage, was „reimt sich auf Christen“?

Weniger inhaltsgeladen, aber dafür umso mehr Spaß machend präsentieren uns die DIE ÄRZTE immerhin noch einige richtig gute Songs, die richtig gute Laune machen, die Hymne „Das letzte Lied des Sommers“ zum Beispiel oder auch die Single „True Romance“ mit dem preisträchtigen Zitat „Hey Siri, erzähl mir über Sex mit Alexa, die tut so prüde, das macht die doch extra und in Wirklichkeit ist sie eine echte Drecksa…“

Natürlich kann man sich irgendwie darüber freuen, dass „Die Ärzte aus Berlin“ immer noch da sind, schließlich schien die zweite Auflösung der Band in jüngerer Vergangenheit recht nahe gewesen zu sein. Ein gutes Album macht alleine das noch lange und schön hören hat irgendwie und irgendwo und irgendwann auch seine Grenzen. Schade. (Maik)

Bewertung: 

Maik 20165,0 5 / 10

Anzahl der Songs: 18
Spielzeit: 61:05 min
Label: Hot Action Records
Veröffentlichungstermin: 23.10.2020

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