Bon Jovi - 2020

bonjovi 2020Mehr als drei Jahre ließ sich der Mann Zeit, und dann kam Corona. Somit ist das neue Album des früheren Teenie-Schwarms eine der Scheiben, die in dem Jahr verschoben werden musste, dazu gleich um mehrere Monate. Eifrig war er immer, dabei könnte man ihm schon vorwerfen, die Dinge etwas mehr reifen zu lassen. Zeit genug hätte Jon Bon Jovi dieses Mal gehabt, zuletzt ging die Formkurve mit "This House Is Not For Sale" wieder nach oben. Darauf war der neue Gitarrist Phil X öfter zu hören als Richie Sambora zuvor, dennoch wünscht sich der Barde seinen ehemaligen Sidekick zurück. Wer sich so in Wunschdenken ergeht, der scheint nicht im Jahr "2020" angekommen zu sein, auch wenn uns der Titel genau das suggerieren will. Wohin gehen die Wege von BON JOVI auf diesem Longplayer?

Zuerst einmal einen mächtigen Schritt zurück, jedoch nicht in der eigenen Historie, sondern in der Musikgeschichte allgemein, denn das Ergebnis kommt sehr trocken und Roots-lastig daher. Das ist der größte Unterschied zum direkten Vorläufer und erweist sich sowohl als Fluch als auch als Segen. Gerade das komprimierte Soundgewand stieß mir etwas auf, die Details der Songs wurden davon komplett verschluckt. Auf der anderen Seite hatte die Truppe mal wieder Drive und Zug in den Songs, der zum festen Mitglied beförderte Hugh McDonald pumpte alles schön nach vorne.
Hier ist alles offener angelegt und gibt den Kompositionen mehr Luft zum Atmen und den Instrumenten die Möglichkeit ihren Charakter zu entfalten. Dabei tendiert der Opener "Limitless" noch klar in diese Richtung, diese flirrenden Riffs hatte Phil X damals reihenweise vom Stapel gelassen, der Refrain weitet sich angenehm aus. Die gleiche Welle reitet noch "Beautiful Drug", das mit seinen "Uh, Uh"-Chören durchaus von U2 stammen könnte.

Deren Art ätherischen Folk mit Rock zu verschmelzen versuchten BON JOVI bereits auf dem Vorgänger, doch die neue Herangehensweise geht mit den Ideen liebevoller um. Bereits der zweite Song "Do What You Can" schlägt das "Great American Songbook" auf, ein Zug, den Jon Bon Jovi sich bisher nicht so konsequent traute. Das ist bei allem von Fills befeuertem Rockdrive reinrassiger Country mit Pedal Steel, für Fans sicher Geschmackssache. Kein Wunder, dass es auf verschiedenen Versionen eine Bonusversion davon gibt, auf welcher er wieder mit Jennifer Nettles von SUGARLAND zusammen arbeitet, mit der er sich einst bei "Who Says You Can´t Go Home" ein Duett lieferte.

Noch erdiger wird er mit erzählenden Folksongs wie "American Reckoning" oder "Lower The Flags", in dem es mit dem Thema Polizeigewalt sehr politisch wird, eindringlich mit Stimmen zum Gospeloutro dargeboten. In dem erstgenannten Stück steht das prägnante, gezupfte Akustikthema über dem Rest, eine Mundharmonika und anschwellende Synthieflächen heben die Dynamik gegen Ende. Natürlich darf man da an Springsteen denken, doch so nahe war er noch nie, auch wenn er seine Ehrerbietung bereits mit dem Albumtitel "New Jersey" zum Ausdruck brachte.
Mit dem lässig rockenden "Let It Rain" kopiert der den Boss schlicht, wenn auch gekonnt. Die Fanfaren zu den abgehangenen Riffs kommen zwar von David Bryans Tasten, es ist jedoch vor allem die Art wie das Lied arrangiert ist. Wenn das perlende Piano zu einer ruhigen Passage vor dem letzten Refrain lauert, kommt dem Hörer unweigerlich "Candy´s Room" in den Sinn, da brodelt einfach diese unverkennbare Euphorie hoch.

Großes Kino wird in "Blood Of The Water" geboten, Tasten und Flöten legen sich fein unter die bluesigen Licks, so atmosphärisch waren BON JOVI nur selten. Bei dem Stichwort erinnert der Fan sich gerne an das unfassbare Epos "Dry County", welches zumindest angekratzt wird, hier wird allerdings eher in DIRE STRAITS-Lakonie geschwelgt. Der weite Refrain und das schöne Solo sind weitere tolle Facetten, welche die Nummer bereithält.
Überaupt Soli bei einem Album der Formation zu erwähnen ist schon erstaunlich, in "Brothers In Arms" lässt der ehemalige TRIUMPH-Mann noch ein starkes vom Stapel. Jenes gibt so wild und ungestüm wie das gesamte Stück und unterstreicht die Retro-Gangart von "2020". Zwar bietet der Chorus arg kitschige "Nanana"-Chöre, doch das macht die röhrende Orgel locker wieder wett, auf so etwas hat man schon länger gewartet.

Das nicht alles Gold ist was glänzt dürfte klar sein, das arg schunkelige "Story Of Love" mit seinen Streichern ist ein Ausrutscher in schlimme "Destination Anywhere" - oder "What About Now"-Zeiten. Insgesamt hat sich der Barde endlich von der Erwartungshaltung befreit und macht jetzt einfach das, was ihm gefällt, homogen ist sicher anders, im Jahr 2020 angekommen definitiv auch. Zumindest hat man hier mehr Abwechslung als auf der Vorgänger, das kompositorisch ebenso viele gute Ansätze liefert. Was man jetzt besser finden soll, muss jeder für sich entscheiden, auf alle Fälle braucht man sich nicht mehr zu schämen, wenn man bei Plattendealer nach BON JOVI verlangt. (Pfälzer)

 

Bewertung:

Pfaelzer6,5 6,5 / 10


Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 48:14 min
Label: Island/Universal
Veröffentlichungstermin: 02.10.2020

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