Iamthemorning - The Bell

iamthemorning thebellZugegeben, die Osterweiterung meiner Plattensammlung hört an der polnischen Ostgrenze auf, weiter habe ich mich geschmacklich nie vorgetraut. Dabei gab es nach der Wende einige russische Kapellen, die auch massiv gehypt wurden, sich aber nie durchsetzen konnten und auch bei mir nie ankamen. Im Falle von GORKY PARK war das durchaus verständlich. Seit ein paar Jahren treibt sich das junge, ambitionierte Duo IAMTHEMORNING in der Prog-Szene herum und heimste für die bisherigen drei Aufnahmen gute Kritiken ein. Ein Grund es mal wieder zu versuchen und mich an "The Bell" heran zu wagen.

So ganz überzeugen könne mich Gleb Kolyadin und Marjana Semkina auch nicht, irgendwie finde ich den Zugang zu ihrem Material nicht, obwohl sie zweifelsohne über großartige Fähigkeiten verfügen. Natürlich ist das was die beiden veranstalten ziemlich sperrig, durchgehend sehr getragen und benötigt eine gewisse Zeit zum Einarbeiten. Doch man hält sich deutlich distanziert, ob das Absicht ist weiß ich nicht zu deuten.
Die gute Marjana besitzt eine wunderschöne Stimme, mit der sie die feinsten Phrasierungen auf den Punkt hinbekommt, dabei so blitzsauber tremoliert. Vielleicht erzeugt da die Kälte, die ich spüre, wenn ich ihr lausche, auch wenn sie gerne Wärme hinein bringen möchte. Man wird das Bild nicht los, wie sie in einer eisigen Hütte gegen die Kälte ansingt, nur um am Ende alle Personen darin doch nicht erwärmen kann.

Klanglich wirkt das seltsam entrückt, manches Mal hat man das Gefühl, dass zu viel komprimiert wurde, doch dann zieht immer wieder die Dynamik an. Wobei IAMTHEMORNING auch Dynamiksprünge einbauen, die so heftig sind dass sie kein Toningenieur glatt bügeln könnte. Teilweise ist das schonungslos, auch in ihrer kompositorischen Ausrichtung, die von ganz spartanischen Arrangements bis zum wuchtigen Bombast reicht.
Gleiches kann man von den Texten behaupten, welche sich mit den alltäglichen Quälereien unter uns Menschen beschäftigen. Dazu ist "The Bell" sehr unterschiedlich instrumentiert, viele Songs kommen ohne Rhythmusbegleitung aus, wenn die Zwei ganz auf sich alleine gestellt sind. Ein wenig könnte man meinen, die Scheibe folge einem gewissen Plan, da sich streckenweise aufeinander folgende Titel ähneln, dann kommt wieder ein totaler Bruch.

Zu Beginn sind es vor allem die akustischen Gitarren, welche bei den Songs wie dem Opener "Freak Show" den Ton angeben. Die getragene Stimmung zieht sich indes durch das gesamte Werk, doch eine solche Steigerung erfahren nur die wenigsten Tracks. Plötzlich sind die Drums da und dann kommt noch viel mehr, sogar ein Saxophon, bis sich die Elektrische in wilden Prog-Abfahrten ergeht, die so gar nicht ins Bild passen wollen.
Nach dem Muster funktionieren auch noch das sphärisch schwebende "Black And Blue" und das mit sehr ruhigem Piano einsteigende "Six Feet". Dann rücken die Streicher immer mehr in den Fokus und bauen sich zu einer Soundwand auf, wie man sie von ANATHEMAs "We´re Here Because We´re Here" her kennt. Die Nähe zum New Artrock suchten IAMTHEMORNING schon immer, nicht umsonst klingen die Leadfills in "Sleeping Beauty" verdächtig nach OPETH.

Dabei bewegt sich der Zweier immer in ihrem eigenen Kosmos dazu ist ihr Ansatz zu ungewöhnlich, um zu viel Querverweise zu evozieren. Allerdings nutzen sie die Stilelemente oft wie den Spannungsaufbau, die Kunst sich zurück zu halten und auch bei Ausbrüchen die Arrangements nie zu überladen. Da setzt es hier mal eine Basslinien, dann umgarnen andere Stimmen die Vocals von Semkina oder eine Trompete bläst zu atmosphärischen Drum-Patterns wie in "Salute". Das beginnt überraschend beschwingt und erinnert an klassische Balletts, eine Disziplin, in der sich russische Künstler auskennen.

Einen weiteren Bezug zu ihrer Heimat findet man in "Lilies", in dem Kolyadin stark von den großen Komponisten seines Landes geprägt ist und so richtig die schwere russische Seele offenbart. Sein Spiel ist wie auf dem gesamten Album meisterhaft, wenn er die Tasten des Pianos zum Flirren bringt wie in der Single "Song Of The Psyche" erzeugt das eine Gänsehaut. "The Bell" liefert sicher haufenweise tolle Ideen, um die Prog-Gemeinde glücklich zu machen, vor allem weil man darauf so zwanglos musiziert. Warum es dennoch eine Distanz aufbaut kann ich mir selbst nicht erklären, vielleicht muss es erst Winter werden, bis mich der russische Bär erwischt. (Pfälzer)


Bewertung:

Pfaelzer7,5 7,5 / 10


Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 46:28 min
Label: KScope/Edel
Veröffentlichungstermin: 02.08.2019

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