In seiner Karriere hat der Mann alles erreicht und live so ziemlich alles auf die Beine gestellt, was möglich ist, wie etwa das sagenumwobene Konzert in Ost-Berlin. Zuletzt zog sich BRUCE SPRINGSTEEN an den Broadway zurück, besser gesagt ins "Walter Kerr Theatre", wo er allabendlich ein Soloprogramm auf die Bühne stellte. Das mag an seinen VH1 Storytellers-Auftritt erinnern, doch die Herangehensweise ist eine andere. Den Hintergrund für die Geschichten, die er zwischen den Songs zum Besten gibt, bildet seine Autobiographie "Born To Run". Aufgrund der großen Nachfrage musste das Programm zweimal verlängert werden und endete offiziell am 14. Dezember. Dass ein Mitschnitt davon jetzt nur auf Netflix zu sehen ist, lasse ich mal unkommentiert. Für ins Regal bekommt der geneigte Fan nur den Audiomitschnitt, der nun unter dem Titel "Springsteen On Broadway" erschienen ist.

Dieser Gig beginnt wie so vieles von der Rocklegende eher unspektakulär, was den Vortrag angeht, doch sie kann sich auf ihre Ausstrahlung verlassen, welcher die Anhänger blind folgen. Gerade an solchen Abenden, wenn sie sozusagen die komplette Lebensgeschichte erzählt bekommen, weswegen sich die Setlist zumeist chronologisch präsentiert. So fängt der Mann selbstredend mit "Growin´Up" an, in welchem er über sein Heranwachsen und seine Familie sinniert.
Dass gerade sein Verhältnis zu seinem Vater immer sehr angespannt war, ist den meisten bekannt, auch wenn sie seine Biographie nicht gelesen haben. Die Anekdote, dass es zwei Dinge zuhause gab, die unerwünscht waren, nämlich er und seine Gitarre, wird auch wieder beleuchtet. Umso überraschender wie sich Springsteen gerade gegen Ende des Konzertes über ihn äußert, da ist Respekt heraus zu hören und das Geständnis, dass er ihn vermisst. Vielleicht ist seinen Eltern zu verzeihen ein wichtiger Schritt, den viele von uns gehen müssen, um zu sich selbst zu finden.

Immer wieder unterbricht BRUCE SPRINGSTEEN seinen Gesangsvortrag, um ein paar Sätze einzustreuen, überhaupt ist die Songperformance nicht so flüssig. Die Melodien entfalten sich nicht so, wie wenn er rockt, manches wirkt gebrochen, doch immer wieder beseelt mit einer unglaublichen Emotionalität. Hier lebt jemand sein Leben noch einmal und lässt andere daran teilhaben, die wie gebannt an seinen Lippen hängen. Sicherlich schade, dass man sich das Ganze ohne Bilder vorstellen muss, doch seine Präsenz macht auch vor dieser Hürde nicht Halt.
Von seiner eindringlichen Erzählkunst hat die Welt nicht erst seit dem genialen Intro von "The River" auf "Live 1975 - 85" etwas mitbekommen und an diese Intensität knüpft er hier an, dazu in noch intimerem Rahmen. Kein Wunder, dass das Publikum an seinen Lippen hängt, und sich genau dann meldet, wenn es dem Meister danach verlangt wie vor allem bei "Tenth-Avenue Freeze Out". So steht der Barde ganz im Mittelpunkt, begleitet sich selbst nur an akustischer Gitarre und Piano.

Er hat auch abseits seiner Songinhalte noch Dinge zu erzählen, das hier ist kein Abhandeln von Entstehungsgeschichten seiner Lieder. Eher beschäftigt er sich mit deren Wirkung und ihrem heutigen Stellenwert, spart dabei heikle Themen wie Krieg und speziell Vietnam nicht aus. Dass "Land Of Hope And Dreams" und vor allem "The Rising" keiner Ansage bedürfen, erschließt sich vielleicht auch irgendwo. Natürlich darf es auch heiter zugehen und öfter ist fröhliches Gelächter aus dem Auditorium zu vernehmen.
Springsteen gibt sich natürlich auch gerne selbstironisch wie in "Thunder Road, sicher auch eine Möglichkeit die im Buch thematisierten psychischen Dinge zu kanalisieren. "Im Gegensatz zu den letzten Europagastspielen bekommt dieses auch die Frau an der Seite, die Sängerin Patti Scialfa zu sehen. In der Einleitung von "Tougher Than The Rest" wird an die erste Begegnung mit ihrer Stimme erinnert, die fortan im Background der E-Street-Band zu hören war. Hier darf sie neben dem angesprochenen Titel auch noch "Brilliant Disguise" mit ihrem Gesang veredeln.

Das sind eben auch die Momente, in denen sich der Zuhörer Bilder wünscht, denn ein derart leidenschaftlicher Vortrag ist eben nur schwer nachzuvollziehen, wenn man gesprochenes nur hört. Zum Glück besitzt BRUCE SPRINGSTEEN aber jene überlebensgroße Ausstrahlung, die selbst in der reinen Audioversion zum Tragen kommt. Ob das allerdings reicht, um nicht doch eher darauf zu warten, dass dieser Mitschnitt nicht irgendwann doch in einer Videoversion heraus kommt, muss jeder für sich selbst beantworten. Für Fans von "Nebraska" sind diese reduzierten Arrangements dagegen sicher ein Mehrwert. So ist "Springsteen On Broadway" sicher etwas, dass man sich auf Vinyl nun an den kommenden langen Abenden vorm Kamin zu Gemüte führen kann, Partystimmung kommt nicht auf. (Pfälzer)

Bewertung:

 7 / 10

Anzahl der Songs: 12 (CD1) / 18 (CD2)
Spielzeit: 61:18 min (CD1) / 75:58 min (CD2)
Label: Sony Music
Veröffentlichungstermin: 14.12.2018