Anathema + Mother's Cake (30.09.2014, Esch-Sur-Alzette (Lux))

live 20140930 01Ich habe neulich an anderer Stelle (hier) bereits erwähnt, dass es ANATHEMA eigentlich verdient hätten, in einer gleichen Liga zu spielen wie COLDPLAY und U2, denn es gibt heutzutage kaum eine andere Band, die es schafft intensive, unter die Haut gehende und emotionale Musik zu erschaffen, die trotzdem eine gewisse Massentauglichkeit hat, ohne dass das bislang bei der breiten Masse angekommen wäre. „C'est la vie", sagt der Franzose und in französischer Sprache musste auch die Band an einem spätsommerlichen Dienstagabend im luxemburgischen Esch-Sur-Alzette mit seinem wenigstens zahlreich erschienen Publikum reden, wobei sicherlich wieder die Hälfte der Zuschauer aus Deutschland den Weg über die Grenze gefunden hatte, ausnahmsweise nicht in die Rockhal, in der einen Tag später IN FLAMES spielen sollten, sondern in die Kulturfabrik.

MOTHER'S CAKE
Bevor man später ANATHEMA genießen durfte, musste man als Zuschauer zuerst einmal die österreichische Band MOTHER'S CAKE überstehen, von denen ich auch eine Woche später noch nicht genau weiß, ob ich sie und das Gebotene jetzt gut finden soll oder nicht. Die Musik des Trios um Sänger/Gitarrist Yves Krismer, Bassist Benedikt Trenkwalder und Schlagzeuger Jan Haußels ist auf jeden Fall speziell und alles andere als leichte Kost. Mit ihrer Mischung aus Alternative Rock, Progressive Rock und Funk passt die Band auf jeden Fall gut in die aktuelle „Post Rock" Landschaft, bei mir und bei einem großen Teil der Anwesenden wollte der Funke aber nicht überspringen. Dafür gibt es vermutlich mehrere Gründe, das Material ist einfach zu komplex, um es direkt beim ersten Kontakt begreifen zu können, man merkt die Band setzt weniger auf geschicktes, zugängliches Songwriting, sondern mehr auf das große Gebilde aus Sounds und Stimmungen, einzelne Nummern dürfen da gerne auch länger als zehn Minuten sein.
Rein instrumental ist dabei soweit alles prima, dass die Band vor Ort sehr heavy und laut abgemischt wurde, war sicherlich kein Fehler, als reine Instrumentalband hätten MOTHER'S CAKE sogar noch mehr Potential, denn der nicht wirklich berauschende Gesang von Yves Krismer ist eher ein Hindernis. Sei's drum, die meisten waren eh nur wegen ANATHEMA gekommen.

live 20140930 02live 20140930 03

ANATHEMA
Dass ANATHEMA eine Band ist, die es bevorzugt den komplizierten Weg zu gehen, das dürfte bekannt sein und das muss hier auch nicht zum x-ten Mal aufgerollt werden. Auf dem aktuellen Studioalbum macht sich dieser Weg durch den verstärkten Einsatz von elektronischen Elementen bemerkbar, und diesen Weg gehen ANATHEMA auch konsequent bei ihren Konzerten, was Tor und Tür öffnet für einige überraschende Kritikpunkte, zu denen ich später noch kommen werde.
Zu Beginn des circa 100-minütigen Gigs, leider viel zu kurz, macht man sich darüber noch keine Gedanken, als ANATHEMA recht pünktlich wie erwartet mit „The Lost Song Part 1" und „The Lost Song Part 2" einsteigen. Ok, die ersten zwei, drei Minuten ist der Sound grottig, Vincent und Lee singen mehr schlecht als recht nebeneinander her, aber spätestens als das mit einer bezaubernden Stimme ausgestattete Geschöpf Lee Douglas, das Beste, was ANATHEMA passieren konnte, bei „The Lost Song 2" zum ersten Mal solo ansetzt, ist man hin und weg. Weiter ging's mit den beiden Teilen von „Untouchable" vom „Weather Systems" Album, da ich die letzte Tour – warum auch immer – verpasst habe, freue ich mich über dieses Beispiel an perfektem Songwriting ganz besonders, und wieder einmal wird einem bewusst wie gut Vincent Cavanagh und Lee Douglas stimmlich harmonieren, wenn alles passt.

Auch „Thin Air" und das wunderbare „Ariel" sorgen im direkten Anschluss für Gänsehaut, im weiteren Verlauf des Abends macht sich aber zunehmend etwas Verdruss breit, so toll Songs wie „The Storm Before The Calm", „The Beginning And The End" oder das zu Tränen treibende „A Natural Disaster" auch sein mögen.

Es mag Träumer geben, die darauf hoffen, dass ANATHEMA live auch mal wieder Songs von den Frühwerken „Eternity" (1996) und „The Silent Enigma" (1995) spielen werden, alles davor war sowieso noch nicht ganz ausgereift, aber selbst die Realisten müssen inzwischen zur Kenntnis nehmen, dass ANATHEMA alles vor „A Natural Disaster" links liegen lassen. Von den 17 Songs waren sage und schreibe null von „Judgement" und null von „A Fine Day To Exit" und selbst das Referenzwerk „Alternative 4", eines der 20 besten Alben aller Zeiten, kam nur noch durch die letzte Zugabe „Fragile Dreams" auf die Setlist, die zudem etwas zu schnell performt wurde. Dafür spielte die Band das aktuelle Studioalbum „Distant Satelites" abgesehen von „Dusk" komplett und im Grunde genommen auch in chronologischer Reihenfolge und da muss man sagen, das ist nicht nur ein Stück weit zu berechenbar, sondern vor allem auch ungeschickt, denn nach den ersten beiden Teilen von „The Lost Song" ist „The Lost Song 3" überflüssig und sowohl das Titelstück als auch „Take Shelter" sind live aufgrund der ganzen Elektronik nur bedingt tauglich und man darf auch die Frage aufwerfen, ob es mit „You're Not Alone" und „Closer" zwei ähnlich gelagerte Songs gebraucht hätte?

Man hatte im Laufe des Abends häufiger den Eindruck, dass bei einem ANATHEMA Konzert noch nie so viel aus der Konserve eingespielt worden ist, wenn ANATHEMA diesen Weg zukünftig weitergehen wollen, sollten sie sich einmal bei TANGERINE DREAM oder SCHILLER inspirieren lassen, wie man elektronische Einflüsse auch „live" umsetzen kann. Hier scheint das neueste Bandmitglied Daniel Cardoso der entscheidende Mann zu sein, der überraschenderweise bei mehr als der Hälfte des Konzertes hinter dem Schlagzeug saß, das zudem erstaunlich künstlich und mit Effekten versehen klang, währenddessen schien sich John Douglas etwas zu langweilen; die zusätzlich aufgebauten E-Drums bediente er auch nur sporadisch, wobei das sogar eine gute Sache war. Die ANATHEMA mit John Douglas hinterm Kit und Daniel Cardoso hinter den Keyboards, wie auf der fantastischen „Universal" DVD, sind auf jeden Fall im Sinne des Bandsounds angenehmer.

So blieb es einmal mehr der unbeschreiblichen Lee Douglas vorbehalten, für die intensivsten Momente zu sorgen, wobei ich nicht unerwähnt lassen möchte, dass einige der neuen Songs auch live richtige Kracher sind, die auch zukünftig fester Bestandteil bleiben werden, „Anathema" und „Ariel" insbesondere. Trotz der erwähnten Kritikpunkte, die eigentlich viel zu viel Raum eingenommen haben, ein tolles Konzert, man hat ANATHEMA in den letzten Jahren aber auch schon besser gesehen. (Maik)

live 20140930 04live 20143009 05

Wir benutzen Cookies
Für optimalen Benutzerservice auf dieser Webseite verwenden wir Cookies. Durch die Verwendung unserer Webseite erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden