"I remember now, I remember everything..." Was jetzt wie ein QUEENSRYCHE-Review anmutet, ist eine eher persönliche Auslegung dieser Textzeile. Es sollte ein normaler Mittwochabend werden, wie jeder andere auch, 19 Uhr abends MediaControl-Chartshow auf SR1. Doch der Neueinsteiger auf Position 16 veränderte mein Leben, "Rock You Like A Hurricane" von den SCORPIONS - danach war nichts mehr wie zuvor, ich war angefixt für alle härteren Klänge. Die Liebe für die Hannoveraner hielt mein ganzes Leben, auch wenn es Ende der Neunziger schwieriger war, diese Liebe aufrecht zu erhalten. Aber ich war froh, als sie in der Phase das BANG YOUR HEAD 2000 headlinten und sich wieder zurück zur Basis begaben.
Nun will die größte deutsche Band aller Zeiten abtreten, und das in Würde - ich vermisse sie jetzt schon. Zwar war ich schon vor zwei Jahren auf einem Konzert ihrer Abschiedstour, doch da diese schon so lange dauert, ließ ich mir die Chance nicht entgehen, sie noch einmal dort zu sehen, wo sie am stärksten sind, auf der Bühne. Auf einer der letzten Stationen, von denen keiner weiß, ob noch welche 2013 dazu kommen, waren sie zu Gast im französischen Straßburg.
THE ELECTRIC DUCKS
Im Laufe der halben Stunde häuften sich aber die Animationsspielchen ein wenig, was den eigentlich guten Songs ein wenig den Druck nahm. Da hätte man sich mehr von den tollen Refrains gewünscht, bei denen Yannick und Basser Mousse ihren Sänger unterstützten. Am Ende kletterte dieser auf den Drumriser und spielte mit, während er weiter die Menge anfeuerte. Stephe verließ währenddessen die Bühne und kam in einer kruden Kostümmischung zurück - Engels-und Adamskostüm in einem - ohne Worte. Zum Glück bedeckte die Gitarre ja noch die gefährlichste Partie. Plötzlich hob er diese und spielte mit erhobenem Instrument weiter, seine rechte Hand an den Kronjuwelen und wieder runter das Ding, was die ohnehin gute Stimmung hob. Eine sehr unterhaltsame Formation, zumindest auf der Bühne.
SCORPIONS
Doch genau wie sich ein alter Trapper nicht in die Flinte scheißen lässt, so lassen sich die Altmeister des Hardrock nicht die Butter vom Brot nehmen. Schon als das Saallicht ausging, war der Lärmpegel recht hoch, ohne dass eine Note gespielt wurde. Über die drei LED-Wände flimmerten alte Video-Aufnahmen, die den Gang der Fünf auf die Bühne geleiteten. Kaum dort angekommen hauten sie schon den Titelsong ihrer vermutlich letzten Scheibe heraus und das Zenith war aus dem Häuschen. Die Halle ist überhaupt prädestiniert für Konzerte, ein ausverkauftes 12.000 Zuschauer fassendes Indoor-Amphitheater, welches technisch hochmodern ist und folglich einen tollen Sound bietet.
Weiter ging es mit Klassiker-Alarm, wobei vor allem die Sachen von "Lovedrive" oder "Animal Magnetism" ein wenig ursprünglicher rüber kamen als gewohnt. Während diese auf Platte recht hart sind, wurden sie früher live gerne mal gen Stadion gebürstet, heuer präsentierte man sie mit ein wenig mehr Feeling. Ein Zeichen, dass sich auch altgediente Bands weiter entwickeln und ihren Songs neue Facetten abgewinnen können.
Altgedient heißt aber zumindest im Falle der deutschen Nummer Eins nicht alt, denn von dem Elan der Truppe kann sich ein Großteil der heutigen Metalszene ein paar Scheibchen abschneiden. Wenn man sieht, welche Wege vor allem die beiden Gitarristen Rudolf Schenker und Matthias Jabs auf den Brettern gehen und sich vor Augen führt, dass beide um die sechzig sind, nötigt einem das einen ungeheuren Respekt ab. Auch in Straßburg bekam man den Eindruck, sie würden nach Kilometergeld bezahlt.
Um ihrem Bewegungsdrang gerecht zu werden ragte eine lange Rampe mitten ins Publikum, so dass sie ihren Fans immer ganz nahe waren. Und den Kontakt zu diesen suchten alle Beteiligten von Anfang an, beim Gang über den Steg wurde ständig rechts und links Augenkontakt gehalten. Dazu beackerten sie gemeinsam mit Bassist Pavel Macivoda die beiden Rampen rechts und links vom Drumriser. Jener ließ sich nach Belieben hoch und runter fahren, doch selbst aus luftigen Höhen hatte der überdrehte James Kottak noch seine Fans im Blick.
Auch Frontmann Klaus Meine war viel unterwegs und dennoch das ganze Konzert über gut bei Stimme. Während einer der beiden Axtmänner vorne sein Soli zockte, poste er gerne mit dessen Partner oder schritt den Bühnenrand entlang und verteilte Drumsticks. Auffällig bei ihm ist nur der übermäßige Gebrauch der Sonnenbrille, was einen vor allem dann besorgte, wenn er keine trug. Den Eindruck hatte ich schon in Stuttgart, dass er doch ziemlich Probleme mit den Augen zu haben scheint, auch vielleicht ein Grund, sich zurück zu ziehen. Manche Musiker vertragen das Rampenlicht mental nicht, bei anderen hinterlässt es Spuren, allabendlich zwei Stunden in grelle Scheinwerfer zu schauen.
Ansonsten war seine Leistung tadellos, beim legendären Instrumental bediente er die dritte Klampfe, während sich Schenker und Jabs die feinen Leads teilten. Immer wieder ein genialer Gänsehautmoment, einer der letzten Beiträge Michael Schenkers zu der Truppe. Bei ihm standen aber Genie und Wahnsinn eng beieinander, weswegen er die gezeigte Professionalität nicht mitgehen konnte. Doch was die SCORPIONS an dem Abend auf die Bühne zauberten, war Entertainment vom Feinsten, da saß alles, da machte sich die ganze Erfahrung bemerkbar. Auch wenn es viele nicht hören wollen, in die Liga werden wohl die aktuellen Bands nie vorstoßen. Kein selbstverliebtes Gehabe, kein Zurschaustellen der sicherlich vorhandenen technischen Fähigkeiten, sondern pure Spielfreude, die ansteckte.
In der Mitte des Konzerts war die Zeit für ein Akustikset, welches von der gesamten Band vom vorderen Bühnenrand geboten wurde. Da Schenker und Jabs ja von ihren Arbeitsgeräten her auf Flying V und Explorer geeicht sind, hatten sie gleich Akustikgitarren in eben jenem Design mitgebracht. Als bei der zweiten Ballade Meine noch die Fans beim "Aaaahaaaaahaah"-Chor dirigierte, tauschten sie diese gegen elektrische und sorgten mit dem Reprise für Hüpfalarm im Halbrund.
Der Auftakt zu einer weiteren Runde kerniger Rocker, dieses Mal neueren Datums. Dann durfte der amerikanische Schlagwerker ran, und spielte sein Solo fast unter der Hallendecke. Das Ganze wurde mit witzigen Videoeinspielungen quer durch die Band-Historie unterlegt und lenkte davon ab, dass man so etwas schon besser gesehen hat. Der Gute legte mehr Wert auf Show, stellte sich in schwindelerregender Höhe auf das Kit, zeigte sein Rückentattoo und feuerte die Meute immer wieder an.
In Zwischenzeit hatte sich Schenker backstage wie auf dem "Blackout"-Cover herrichten lassen, und legte sogleich bei seiner Rückkehr mit dem Titelsong los, was die Stimmung noch mehr steigerte. Zwar waren die Franzosen nicht gerade bewegungsfreundlich, doch der Publikumschor war gewaltig, ebenso wie die Anfeuerungen zwischen den Songs. Nach der Soloeinlage von Jabs, die er schon auf "World Wide Live" zum Besten gab, war es Zeit für das obligatorische Ende einer SCORPIONS-Show. Das reguläre Set endete in einem einzigen Singalong.
Hier muss man leider ein wenig Kritik an der Setlist anbringen. Klar, jeder hat seine Favoriten, es kann aus dem riesigen Fundus von siebzehn Studioscheiben nicht alles gespielt werden. Aber gerade deswegen sollten nach zweieinhalb Jahren Tournee mehr als zwei Lieder ausgetauscht worden sein, zumal im Gegensatz zu Stuttgart noch "Bad Boys Running Wild" fehlte. "No One Like You" wurde erneut schmerzlich vermisst, überhaupt gab es nur einen Song vom "Blackout"-Dreher. Aber auch Sachen aus den Siebzigern wie "In Trance", "Pictured Life" oder "He´s A Woman, She´s A Man" hätte man ausgraben können.
Doch was will man andererseits weg lassen, von den Zugaben wohl kaum eine. Die beste deutsche Rockballade ever (Punkt!) auf keinen Fall, auch nach fast drei Jahrzehnten auf dem Buckel großes Gefühlskino. Natürlich ist die Mauerfall-Hymne umstritten, aber ich mag den Titel immer noch. Klar ist der abgelutscht und teilweise durch das Schlager-Radio getrieben worden, so dass gestandene Rocker Tränen bekommen.
Ich bekomme eher Tränen, wenn ich an die Entwicklung nach dem Song denke. Ob der Wind aus der richtigen Richtung wehte, wage ich zu bezweifeln. Denn die Kommunisten gingen, die dekadentesten Kapitalisten mitsamt der Mafia kamen und jüngste Ereignisse zeigen, dass das Volk dort noch lange nicht frei ist. Da hätte ich mir für das Abschiedsalbum eher davon eine Fortsetzung, unter dem Titel "This Isn´t What We Meant" gewünscht.
Überrascht hat mich aber, mit welcher Inbrunst unsere Nachbarn mitgesungen haben, obwohl ihr Bezug zu der Geschichte nicht so eng ist wie unserer. Freiheit ist eben ein Gut, das auf der ganzen Welt geschätzt wird. Und ja, am Ende wurde der Wirbelsturm, entfacht und Straßburg ging steil. Klaus Meine stand einfach nur noch vorne auf der Rampe und hob seinen Mikroständer über die gereckten Hände der Leute, die erledigten die Aufgabe gerne. Hier schließt sich der Kreis, wenn dies das Ende war, war es ein gutes, das Kapitel SCORPIONS endete für mich wie es begonnen hatte. "I remember now!" (Pfälzer)
Setlist SCORPIONS:
Sting In The Tail
Make It Real
Is There Anybody There?
The Zoo
Coast To Coast
Loving You Sunday Morning
Rhythm Of Love
The Best Is Yet To Come
Send Me An Angel
Holiday
Raised On Rock
Tease Me Please Me
Hit Between The Eyes
Kottak Attack (Drum Solo)
Blackout
Six String Sting (Guitar Solo)
Big City Nights
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Still Loving You
Wind Of Change
Rock You Like A Hurricane
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