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Nach dem recht mauen letzten Jahr war die erste Hälfte dieses Jahres ein wahres Fest für Freunde progressiver Klänge. Zahlreiche starke Releases zierten die Plattenläden und auch die Charts. Da können die Könige des Progmetal DREAM THEATER natürlich nicht hinten anstehen und warfen ihrerseits ihre neue Langrille „Systematic Chaos“ auf den Markt. Direkt nach Veröffentlichung begaben sich die fünf Amerikaner auf den ersten Teil ihrer Europatournee. Als besonderes Schmankerl für die Fans begleiteten sie die polnischen Prog-Aufsteiger der letzten Jahre RIVERSIDE auf sieben ihrer Konzerte. Das dritte fand in Esch-Sur-Alzette in Luxemburg statt, welches ich auch noch nutzte um mit deren Bassisten und Sänger nachmittags ein Interview zu führen.
Nachdem ich dann mit meiner Herzdame im Steuerparadies pfandfreie Getränke für die bevorstehenden Festivals gekauft hatte, ging es um sieben Uhr rein in die Halle. Das Konzert fand im neugebauten linken Flügel der Rockhal statt, der eine ziemlich große Arena beherbergt. Nach Angaben der Betreiber sollen an dem Abend etwa 6000 Leute anwesend sein, da es so gut wie ausverkauft ist.

Los ging es dann um acht Uhr mit den osteuropäischen Hoffnungsträgern RIVERSIDE. Und die versteckten sich nicht hinter dem Namen des Headliners. Gleich zu Beginn gab es die neue Single „02 Panic Room“ zu hören. Dieser für ihre Verhältnisse eingängige Song sorgte gleich für die ersten erstaunten Gesichter beim DREAM THEATER-Publikum, das mit deren Namen bisher nicht viel anzufangen wusste. Und war anfangs noch viel Platz in der Halle, so bewegten sich, angezogen von den sphärischen Klängen immer mehr Menschen vor die Bühne.

Eine etwas rauere Gangart schlug die Band beim nächsten Stück ein, dem Titelsong, ihres ersten Albums. Unglaublich dynamisch kommen die immer wiederkehrenden heftigen Ausbrüche daher, bei denen Frontmann Mariusz Duda stellenweise Deathmetal-mäßig grunzt. Er scheint sowieso jedes Wort der sehr bedeutungsschweren Texte zu leben. Ganz geht er in den Kompositionen auf. Ebenso sein Gitarrenpartner Pjotr Grudzinski, der meist mit geschlossenen Augen spielt.
Und hier liegt das Problem der Vier, zu verhalten agieren sie auf der Bühne, zu sehr sind sie mit ihrer brillanten Musik beschäftigt. Kaum ein Blick ins Publikum, und zu meinem Leidwesen auch keiner für die Photografen.



Doch die Polen gehen volles Risiko, statt einiger kurzer Songs vom letzen Album spielen sie das 15-minütige Titelstück „Second Life Syndrom“. Doch dieser Song vereint alle Stärken ihrer Musik, die schwebenden Parts, die treibenden Basslinien, die perfekten Harmonien, der leidenschaftliche, gebrochene Gesang. Alles perfekt dargeboten von einer hervorragenden Formation, das finale Solo kann alles, traumhaft schön. Und das Publikum dankt es ihnen mit viel Applaus.
Nun hatten sie die Menge im Griff und gingen beim anschließenden Instrumental, das ebenfalls vom neuen Album stammt mehr aus sich heraus. Duda animierte bei dem Jam-ähnlichen Titel, der wohl die „Reality Dream“-Reihe fortsetzen wird, das Publikum zum Mitklatschen. Zum gewohnten Abschluss gab es dann die ruhige, warme, Floyd-affine Nummer „The Curtain falls“. Bei dessen Ende verabschiedeten sich die Musiker unter Jubel nacheinander von der Bühne, bis zum Schluss Michal Lapaj die letzten Keyboardtöne verhallen ließ.
Eine erhabene Geste, die sie Koryphäen des Genres wie PETER GABRIEL und FISH abgeschaut haben. Wenn es der Combo noch gelingt, ihre Livepräsenz zu verbessern, etwas mehr Entertainment zu bieten, dann könnte ihnen eine goldene Zukunft bevorstehen. Das dritte Album, das im Moment in der Mache ist wird ebenso entscheidend sein. Eine gute Promotionsarbeit hierfür haben sie an dem Abend geleistet.




Ein ganz anderes Kaliber auf den Brettern, die die Welt bedeuten stellen natürlich die unbestrittenen Herren im Ring dar. Schon vor Beginn der Show wurden die Fünf mit Sprechchören gefordert. DREAM THEATER sind absolute Profis im Geschäft und legten sofort los und spielten sich in einen Rausch. Die Spielfreude war ihnen direkt anzusehen und der Kontakt mit dem Publikum wurde von allen sofort gesucht. Wer nun dachte, dass man mit Titeln vom neuen Album beginnen würde sah sich im Irrtum. Das Intro von „Overture 1928“ verkündete den Anfang vom „Scenes from a Memory“-Album und folgerichtig ging es mit „Strange Deja Vu“ weiter.

Anschließend folgte mit „Take the Time“ das erste Stück von „Images&Words“, dessen fünfzehnjähriges Jubiläum gefeiert wird. Die Menge ließ es sich nicht nehmen James LaBries Einladung zum Singalong anzunehmen. Und hier wurde klar, dass sich die Prog-Götter nicht auf ein Best of-Programm verlegt haben wie bei ihrer letzten Tour. Schon die erste Strophe wurde stark abgewandelt vorgetragen und der Song mit etlichen Soli in die Länge gezogen. DREAM THEATER hatten wieder Lust auf Improvisationen.

Danach gab es die ersten Lieder der neuen CD zu hören. Bei „Constant Motion“ mit seinem thrashigen an METALLICA erinnernden Riff sah man auch einige Metalanhänger in der Menge ihre Matten schütteln. Genauso hart, krude, mit PANTERA-Zitaten versehen ist das düstere „The dark eternal Night“. Und die wesentlich metallischere Gangart macht sich auch in der Optik der Amerikaner bemerkbar. Petrucci hat wieder eine Matte, LaBrie eine längere und einen Bart, Mike Portnoys Kopfwuchs geht auch wieder mehr nach Süden.
Wie schon bei RIVERSIDE ist der Sound am Anfang noch etwas unausgewogen, doch bessert er sich schnell und ertönt dann klar aus den Boxen. Lediglich der Frontmann hat Probleme mit seinem Monitorsound und verliert seine gute Laune vom Anfang zusehends. Schade, denn er kann seinen Ärger nur sehr schwer verbergen.



Nach einem weiteren Song vom 92er Durchbruchsalbum mit „Surrounded“ und einem Ausflug zum letzten Dreher mit „Never enough“ folgt der 12-Minüter „Endless Sacrifice“. Während die Nummer in der düsteren Soundwand von „Train of Thought“ etwas untergeht entwickelt sie sich live zu einem Brecher. Im langen Instrumentalteil ballert die Truppe so einige Thrash-und Deathkapellen an die Wand. Nur das Publikum verhält sich zu ruhig, klatscht, applaudiert zwar, doch es ist kaum Bewegung zu sehen.
Da kommt der U2-ähnliche Hit „Walk beside you“ als Auflockerungsübung ganz recht. Apropos Übungen, ich muss mal bei den Credits nachschauen, welchen Input John Petrucci zum neuen Dreher lieferte. Viel kann es nicht sein, denn er hat augenscheinlich in den letzten zwei Jahren wohl die meiste Zeit im Fitness-Studio verbracht. So ein enormer Zuwachs an Muskeln ist schon ungewöhnlich bei einem mehr als 40-jährigen. Steht ihm aber gut!
Gewachsen ist wohl auch das Schlagzeug von Mike Portnoy, hinter seinem neuen Kit kann man sich fast verlaufen. Ebenso auffällig ist, dass die Bassdrums, die Snare und die Toms alle durchsichtig sind. So kann man dem Meister noch besser beim Spiel zusehen.

Nach einem weiteren neuen Stück, dem Powermetal-lastigen, sehr hymnischen „Forsaken“ bildet das Epos „Home“ den Abschluss des regulären Sets. Bei dem orientalisch angehauchten Stück zeigt jeder der Musiker noch mal sein ganzes Können.
Natürlich gehen DREAM THEATER nicht ohne Zugabe von der Bühne, zuerst kommt die Ballade „Spirit carries on“. Dieser schöne Titel treibt so manchem die Tränen in die Augen und erntet den größten Chor des Abends. Und als idealer Schlusspunkt erweist sich einmal mehr „Metropolis Pt.1“, der das mittlerweile doch abgenudelte „Pull me under“ ersetzt und stürmisch abgefeiert wird.
Die derzeit populärste Progressiveband legt wieder mehr wert auf Überraschungen und ihre grandiose Spieltechnik. Für alle, die zum ersten Mal bei einem ihrer Konzerte sind, etwas anstrengend, für die Fans das Salz in der Suppe. In dieser Form darf diese Truppe noch lange weitermachen. (MetalPfälzer)


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