Apocalypse Dudes: Ein Album schreibt (nicht nur) Rockgeschichte

apocalypse dudesDer norwegische Radiosender „Radio Rock“ hat seine Hörerinnen und Hörer über „Das Beste Norwegische Rock Album aller Zeiten“ abstimmen lassen. Diese Woche wurde nun die 1998 veröffentlichte Platte „Apocalypse Dudes“ von TURBONEGRO als Sieger verkündet. Dieses Ergebnis erschließt sich mir völlig, gehört doch just dieses Album zu jenen, die meine eigene musikalische Entwicklung sehr entscheidend geprägt haben. Und auch sonst hat dieses Album mein Leben ganz schön „durcheinander gewirbelt“. Aber von vorn.

Wohl kein Wort konnte man öfter in der Stichwort-Sammlung, die meine MitschülerInnen über mich in der Abi-Zeitung zusammentrugen, öfter lesen als „Punk“. Und ich schmunzele noch heute bei der Erinnerung an das Theater zuhause, als ich mir ein T-Shirt von der TERRORGRUPPE bestellt hatte und meine Mutter den riesigen Bandlogo-Aufkleber, der den Umschlag zierte, so überhaupt nicht lustig fand. „Kind, was soll denn der Briefträger denken!?!?!“ Unvergessen auch meine ersten Konzertbesuche. Okay, ich meine jetzt nicht unbedingt den BED & BREAKFAST Gig. Und auch die BLOODHOUND GANG finde ich heute ziemlich zum ko… mich übergeben. Außerdem bin ich danach fast an Dehydrierung oder was auch immer gestorben. (Zumindest fühlte es sich so an…) Ich dachte eher an so etwas wie DIE WOHLSTANDSKINDER, RANTANPLAN oder MUFF POTTER.

Wenngleich „Appetite for Destruction“ von GUNS N ROSES wohl mein allererstes sehr prägendes Album war, so war es doch eben die Punk Musik, die mich viele Jahre entscheidend begleitete. So kaufte und verschlang ich beispielsweise ALLES (!!!) was mir von den SEX PISTOLS in die Finger kam. Ob CDs, DVDs, Bücher, Merchandise, … Und so war es wohl auch naheliegend, dass ich irgendwann als Mitarbeiterin im Punk-Shop landete, dem seinerzeit vermutlich größten Mailorder in diesem Bereich. Dort arbeitete ich einige (sehr schöne) Jahre neben meinem Studium an der Uni in Mainz.

2002 gings zum Bizarre Festival nach Weeze am Niederrhein. Dort liefen allenthalben diese merkwürdigen uniformierten Menschen in irgendwelchen „Turbojugend“-Denim-Kutten und mit Sailorhüten auf dem Kopf durch die Gegend. Und man stellte sich die Frage: „TURBO-wer? Turbojugend? TURBONEGRO? Was’n das? Nie gehört!“. Irritiert und verwundert musste man sich also diese Band, für die offenbar all diese Festival-Besucher hergepilgert schienen, ansehen. Und ich muss es sagen wie es ist: Dieser eine von zwei Reunion-Gigs der norwegischen Death-Punks veränderte ALLES. Es war als wäre mir eine bisher verschlossene Tür im großen Haus des Rock n Roll eröffnet worden, die Tür zu gitarrenlastiger, angepunkter Rockmusik. Denn insbesondere die beeindruckenden Gitarren-Riffs von Knut „Euroboy“ Schreiner hatten es mir angetan. Bamm! Aus dem Punk-Girl wurde die „Rock-Prinzessin“.

doh VIEs folgte die Gründung der Turbojugend Wiesbaden unter der Präsidentin Princess of the Rodeo (moi) und fortan war man ununterbrochen unterwegs. Auf den ersten Weltturbojugendtagen wurden erste Freundschaften geschlossen und man tingelte von Event zu Event, sei es zum Turbolenz-Festival bei der TJ Hagen F.T.W., dem Bierkistenrennen der TJ Borken oder zum alljährlichen Fussballturnier der TJ Coesfeld. Als hessische Turbojugenden hoben wir  „Darkness over Hessen“ aus der Taufe, ein Minifestival mit jeweils 4-5 Bands, zu dem Menschen aus ganz Deutschland und darüber hinaus anreisten. Als Headliner konnten namhafte Bands wie zum Beispiel THE TURBO ACs, AMULET, PSYCHOPUNCH oder THE ACCIDENTS gewonnen werden. Aber auch kleinere Bands und Turbojugend-Acts konnten hier für kleines Geld dem sehr dankbaren und treuen Publikum geboten werden. Zur „Hausband“ avancierten die schwedischen PASSAROUNDERS, die dem Festival sogar eine eigene Hymne verpassten (zu finden auf der Platte "Moonshine Moonwalk") und über die ich - quasi völlig ungeplant - zum Booking und Tourmanagement kam.

An der Auswahl der DoH-Bands lässt sich bereits der Wandel im Musikgeschmack ablesen. Manche hatten ihr Erleuchtungs-Erlebnis bereits durch die „Ass Cobra“, für mich war es wie für die meisten TURBONEGRO-Fans jedoch eindeutig besagte „Apocalypse Dudes“, die mich einfach umhaute. Angefangen beim grandiosen Intro zu „The Age of Pamparius“ reiht sich hier Hit an Hit. Durch TURBONEGRO entdeckte ich insgesamt den skandinavischen (BACKYARD BABIES, THE HELLACOPTERS, …), aber vor allem den doch etwas punkigeren norwegischen Rock neu für mich. Als Redakteurin von Vainstream verschlug es mich seinerzeit zum Oyafestivalen nach Oslo, wo ich AMULET vor ihrem letzten Konzert interviewen durfte (erneut veröffentlicht auch hier bei Neckbreaker). Dass eine junge deutsche Frau extra angereist sei um die Band zu interviewen und sich ein Tattoo stechen zu lassen (am Vorabend in einer Schnapslaune mit dem Tättowierer, einem guten Freund der Band verabredet), wurde sogar in der größten norwegischen Zeitung Dagbladet erwähnt.

Ob die TRASHCAN DARLINGS, SILVER, die BACKSTREET GIRLS oder die CARBURETORS – mit vielen dieser damals entdeckten Bands verbindet mich seitdem gute Freundschaft, teilweise auch eine spätere Zusammenarbeit und vor allem die gemeinsame Liebe zur Musik. Bis zu seiner Schließung war das Elm Street Rock Café mein Wohnzimmer auf den unzähligen meiner Kurz- oder Langtrips in die norwegische Hauptstadt. Heute ist es der Aye Aye Club Tortuga, in dem ich eigentlich immer irgendwen Bekanntes treffe.

Und überhaupt: Norwegen ist für mich auf diesem Weg zu einer zweiten Heimat geworden inklusive das Erlernen von Basics der norwegischen Sprache. Die nordische Mentalität, immer sehr herzlich aber nie aufdringlich, ist mir sehr sympathisch. Dort nimmt es mir niemand krumm, wenn ich ein paar Monate (oder Jahre) einfach abwesend bin. Sobald ich wieder dort bin, ist es so, als sei ich nie weg gewesen. Kein Wunder vielleicht, dass ich mit den Auswanderungsplänen noch nicht ganz abgeschlossen habe. So eine eigene rote Hütte am Oslo-Fjord, das hätte ja schon was…

TURBONEGRO hat für mich persönlich im Laufe der Jahre an Bedeutung verloren, insbesondere musikalisch seit „Retox“ und den späteren zahlreichen Line-Up-Wechseln. Zwischendurch gab es jedoch nochmal den legendären Auftritt auf dem Øyafestivalen 2008, als sich die Band anlässlich des zehnten Albumjubiläums selbst einen Tributgig schenkte und die „Apodudes“ einmal komplett auf der Bühne durchexerzierte. Es ist nicht gelogen, wenn ich sage, dass der und die ein oder andere bei diesem Gig Freudentränen weinte. Ein bisschen paradox war es jedenfalls dann schon, als ich den HANK VON HELL Gig im vergangenen Dezember eben nicht wegen Hank von Helvetes neuer Band besuchte, sondern wegen der anderen norwegischen Band, die mit ihm und seiner neuen Combo tourte, meiner Freunde von VIRGINIA HILL. Angesichts der vielen bekannten Gesichter aus TJ-Zeiten, die sich dort versammelten, hatte dieses Event jedoch einen Hauch von Klassentreffen. Und auch auf dem KVELERTAK Gig am vergangenen Mittwoch kann ich bei aller Unterschiedlichkeit irgendwie nicht gedanklich von der "Apocalypse Dudes" trennen. Immerhin habe ich auch Sänger Ivar Nikolaisens andere Band SILVER seinerzeit erstmalig auf den ersten Turbojugendtagen entdeckt.

Während einige die TJ-Fahne bis heute hochhalten, allen voran die TJ Lohfelden, die alljährlich nach wie vor ihr „Kassel Heart Attack“ veranstaltet, sind andere heute so wie ich Turbowarrior i.R. Vor ein paar Monaten hatte ich mich mit einem ehemaligen TJ-Mitstreiter noch darüber unterhalten, dass wir beide heutzutage ja unter anderem deshalb nicht mehr mit Kutte unterwegs sind, weil es uns doch manchmal eher peinlich wäre. Etwas ketzerisch und mit einem Augenzwinkern ließ ich verlauten “Früher war halt alles besser“. „Früher war alles genauso schlimm, nur wir jünger und unreflektierter“, hielt er mir entgegen. Nicht ganz von der Hand zu weisen, denke ich, in mich hinein grinsend.

Was bleibt sind Freundschaften fürs Leben und die große Liebe zu norwegischem Rock. GOOD TIMES. Tusen takk TURBONEGRO! Takk så mycket, Apocalypse Dudes! (Manu)

Hier die vollständige Top Ten von Radio Rock:

1. TURBONEGRO - Apocalypse Dudes (1998)
2. DUMDUM BOYS - Splitter Pine (1989)
3. KVELERTAK - s/t (2010)
4. KAIZERS ORCHESTRA - Ompa til du dør (2001)
5. RAGA ROCKERS - Forbudte Følelser (1988)
6. JOKKE & VALENTINERNE - Alt kan repareres (1986)
7. SKAMBANKT - Hardt Regn (2009)
8. SATYRICON - Now, Diabolical (2006)
9. BACKSTREET GIRLS - Boogie til you puke (1988)
10. SEIGMEN -Total (1994)

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