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interview_nachtgeschrei_20130506_01Ob und wie es mit NACHTGESCHREI weitergeht, das war nach dem Ausstieg von Sänger Hotti lange unklar. Doch mit dem Einstieg des Saarländers Martin LeMar im letzten Jahr konnte es dann doch endlich weitergehen. Mit „Aus schwärzester Nacht“ hat man im März diesen Jahres nun ein neues Album veröffentlicht, das erste mit dem neuen Sänger. Im Anschluß war man dann auf Deutschlands Bühnen unterwegs, um das Werk entsprechend zu promoten – und jetzt sitzt mir Neusänger Martin LeMar gegenüber, um mir Rede und Antwort zu stehen:


Anne: Seit wann bist du denn in der Band?

Martin: Seit Mai 2012. Ungefähr ein Jahr jetzt.

Anne: Und wie bist du zu NACHTGESCHREI gekommen?

Martin: Wie die Mutter zum Kind. Nee. Das ist doch jetzt eigentlich schon weitläufig bekannt, oder?

Anne: Ich will das aber wissen!

Martin: Du willst das wissen? Ehm. Erik [Grösch, Anm. d. Verf.]. Von MEKONG [DELTA]. Der andere Gitarrist von MEKONG; nicht der Benedikt, sondern der Erik. Der Erik ist seit Ewigkeiten der Soundmann von NACHTGESCHREI. Schon seit ich ihn kenne. Und NACHTGESCHREI suchen ja schon seit Mitte 2011 – Hotti hatte ja früh gesagt, daß er aussteigt. Und deshalb suchen die schon seit Ewigkeiten einen Sänger und irgendwie ist Erik vorher nie auf die Idee gekommen, mich zu fragen – warum auch immer. Und hat's dann aber doch irgendwann gemacht. Anscheinend war er an einem ziemlich verzweifelten Punkt – keine Ahnung. Das war also irgendwie Eriks Schuld, sag ich immer. Erik ist schuld.

Anne: Wie kommst du mit der Situation zurecht?

Martin: Welche Situation? (lacht) Daß ich plötzlich Musik mache, die die Leute hören wollen? Nee, was für 'ne Situation denn?

Anne: Nee, quatsch, war nur Spaß.

Martin: Ja. Eriks Schuld. Erik ist an allem Schuld. Ogottogottogott.

Anne: Kennst du denn Hotti, den alten Sänger?

Martin: Nur vom Hörensagen, Erzählungen, und sonst was. Ich bin ihm aber leider noch nicht begegnet.

Anne: Passt du überhaupt in diese Mittelalterszene?

Martin: Keine Ahnung. Pass ich?

Anne: Weiß ich doch nicht. Ich hab' euch ja noch nicht gesehen!

Martin: Passt NACHTGESCHREI in die Mittelalterszene?

Anne: Ja, das ist 'ne Frage, die kommt später noch.

Martin: Also generell – keine Ahnung. Ich glaub', so nach den letzten sechs, sieben Konzerten kann ich mittlerweile sagen, dass es funktioniert. Ja. Ich fühle mich da sogar sehr, sehr wohl.

Anne: Wobei ich jetzt fand, daß du auf dem Album eigentlich weicher und cleaner singst als zum Beispiel bei TOMORROW'S EVE, obwohl ja beim Mittelalter-Metal die Sänger ja meistens eher etwas rauere Stimme haben.

Martin: Stell mir keine Fragen, bei denen ich schlechtes über andere Sänger sagen muß!

Anne: Mußt du ja nicht (beide lachen).

Martin: Also ich weiß nicht warum manche Sänger so unheimlich rumbrüllen müssen. Oder warum die rauher oder härter klingen wollen als es ...streich das. Das hab' ich nie gesagt. Nee, aber es ist so, daß ich versuche songdienlich zu singen, das ist alles. Ich singe einfach so, wie ich glaube, daß es zu dem Song paßt und ich glaub‘, bei den meisten Sachen würde es jetzt überhaupt nicht passen, wenn ich übertrieben in der Gegend rumshoute oder so. Wenn ich jetzt irgendwie wie bei TOMORROW'S EVE bei „Remember“ bei „Herbst“ singen würde, dann würde das überhaupt gar keinen Sinn machen. Das würde einfach nur scheiße klingen. Ich paß‘ mich da der Musik und dem Song an.  

Anne: Interessierst du dich eigentlich generell für diese ganze Mittelalter-/Folkszene oder bist du da jetzt einfach reingeraten?

Martin: Ja, das ist die Fangfrage. Ich hab' früher mal SUBWAY gehört. ‘ne ganze Zeit lang fand' ich SUBWAY sogar ganz cool. Ja. Das lag aber eher an deren Gitarrengeschichten und dem ziemlich oft benutzten mehrstimmigen Gesang. Das hätte genauso gut irgendeine andere Kapelle sein können. Aber um ehrlich zu sein, ist das sehr lange Zeit nicht die Musik gewesen, die ich jetzt persönlich gehört hab. Ich bin aber auch sowieso was das angeht überhaupt nicht festgefahren. Ich mag dieses Schubladendenken überhaupt nicht. Für mich ist das auch was wir machen... ich find' da nirgendwo richtig übertriebenes Mittelalter.

Anne: Ja, das wäre jetzt auch die nächste Frage gewesen. Habt ihr überhaupt eine Bezeichnung für eure Musik? Weil ich finde, es ist weder richtig Mittelalter, noch ist es so richtig Metal, eher so was rockiges dazwischen.

Martin: Echt? Kein Metal?

Anne: Naja, so richtig hart ist das nicht…

Martin: Oh verdammt (lacht)! Das hat mir keiner gesagt, daß das gar kein Metal ist. Oh Mann! Die haben mich ausgetrickst. Ja...nee. Prinzipiell steht das auf den Plakaten drauf weil das irgendwie so ist, daß man in irgendeine Schublade gedrückt wird. Sobald du irgendwie ein altes Instrument drin hast, landest du in dieser Mittelalterkategorie. Wobei 'ne Leier ja zumindest in der Bauform nicht unbedingt ein wirklich mittelalterliches Instrument ist, genauso wenig wie ein Akkordeon. Aber es sind halt alte Instrumente, die unüblich sind in der Musik und dann noch mit deutschem Gesang und sobald ein 3/4-Takt drin ist wird das dann natürlich auch direkt passend irgendwie. Also das paßt schon, daß wir in der Kategorie gelandet sind, andererseits aber auch gar nicht.

Anne: Ihr seht auch gar nicht „mittelalterlich“ aus. Also wie man sich jetzt die „typische“ Mittelalterband vorstellt.

Martin: Ich meine, wir spielen ja auch nicht auf Mittelaltermärkten oder sowas. Es paßt glaub' ich schon dazu und Leute, die die Musik mögen, mögen zum Großteil auch NACHTGESCHREI. Wir haben jetzt mit VERSENGOLD gespielt, das hat eigentlich auch ziemlich gut zusammen gepaßt, obwohl die wirklich ziemlich mittelalterlich sind. Obwohl die jetzt inzwischen auch mehr Richtung Irish Folk gehen. Aber in der Mischung find' ich das alles doch – ja, stimmig. Aber ich hab' mich schon immer gegen irgendwelche Kategorisierungen und Schubladen und alles andere gewehrt.

Anne: Warst du in den Songwriting-Prozeß schon involviert oder war die Platte quasi schon fertig als du dazu kamst?

Martin: Da sind tatsächlich ein paar Songs von mir, auch Texte sind zum Teil von mir. Also das ist schon 'ne Band, bei der viel zusammen geschrieben wird. Also es ist nicht so, einer macht irgendwie was, oder macht alles. Wenn man die Band 'ne Zeitlang verfolgt und weiß, welche Songs aus wessen Feder oder welche Einflüsse von wem sind, merkt man schon z.B. das da hat Sane geschrieben, oder das da trägt so 'ne typische Handschrift von Nik, was den Text angeht. Ich hab' versucht, mich ein gutes Stückchen anzupassen an die Musik, auch gerade was das Songschreiberische angeht. Also jetzt nix da einzubauen, was total absurd ist. Ich hab' mich eine Sache getraut, die seltsamerweise den Leuten auffällt, aber  nicht negativ, sondern eher positiv: Also „Der Ruf“ z. Bsp ist von mir. Und da ist dieser Break drin, wo die Gitarre plötzlich so sehr langsam wird und das Tempo komplett rausnimmt, dieser Bruch. Also ich bringe mich da schon ein. Genauso wie diese Nummer mit dem Orchester.

Anne: Also bei NACHTGESCHREI macht eigentlich mehr oder weniger jeder alles?

Martin: Da macht jeder mehr oder minder alles. Auch Drummer schreiben plötzlich mal ein Gitarrenriff. Kann passieren. Das find' ich eigentlich ganz cool. da sind alle sehr musikalisch. Man sperrt sich da so über'n Wochenende im Schwarzwald in so 'ne Bude ein und da wird dann drei, vier Tage am Stück Musik gemacht und am Schluß hat man fast das komplette Album zusammen. Also das war schon ziemlich effektiv, das Arbeiten mit den Jungs. So effektiv hab' ich glaub ich noch nie Musik gemacht.

Anne: Fällt es dir leicht, auch Texte zu singen, die nicht von dir sind oder singst du lieber Texte die von dir stammen?

Martin: Ehm, ich muß ja jetzt ein paar Texte singen, die nicht von mir sind. Da ist aber auch die Melodie nicht von mir. D.h. da kann ich mich irgendwie drauf zurückziehen wenn man's genau nimmt. Bei den neuen Sachen, wenn dann ein Text nicht von mir ist, mach ich meistens die Melodie selbst. Gottseidank schreibt keiner in der Band so schreckliche Texte wie ich. Also generell ist es tatsächlich so, daß die anderen sehr, sehr schöne Texte schreiben, die sich echt prima singen lassen. Und das war schon immer so bei der Band. Das find' ich gut.

Anne: War es ein Problem für dich, jetzt deutsche Texte zu schreiben und deutsche Texte zu singen? Oder eine Umstellung?

Martin: Eine Umstellung, eine Herausforderung. Lustigerweise macht's mir langsam Spaß. Also es machte mir ja schon von Anfang an Spaß, aber inzwischen ist es schon so, daß ich schon zu Hause sitze und jetzt schon über die Texte und über Lieder fürs nächste Album nachdenke.

Anne: Aber was ist eigentlich anders daran, deutsche Texte zu singen, als zum Beispiel englische?

Martin: Die Konsonanten. Die deutsche Sprache ist – ich will jetzt nicht sagen, eine häßliche Sprache – aber sie ist zum Singen die schwierigere Sprache weil wir so viele schreckliche Konsonanten haben. Eine Melodieführung zu machen, wenn die Endung deines Wortes auf „-ng“ aufhört, ist 'ne Katastrophe. Passiert, kann man machen, aber es ist halt schwieriger, es ist was anderes. Und jemand, der das Zeit seines Lebens nicht gemacht hat, wird damit Probleme haben am Anfang. Ich hab' das ja Gottseidank vorher schon gemacht. Jetzt nicht offiziell in irgendwelchen Bands, aber ich geb' ja auch Gesangsunterricht, da sind auch viele Schüler dabei, die deutsche Sachen machen; Musicalsachen hab' ich schon gesungen – auch nicht offiziell, irgendwie mit Aufnahmen oder ähnliches, aber da gibt’s auch den ein oder anderen deutschen Text, der einfach fürchterlich zu singen ist. Aber man gewöhnt sich dran, es geht schon.

Anne: Also das könnte auch ein Grund sein, warum es Sängern generell schwer fällt  - also vielen Sängern, auch Französischen, fällt es auch schwer, in ihrer Muttersprache zu singen.

Martin: Ich weiß nicht, ob's Franzosen schwer fällt, Französisch zu singen...

Anne: Also einige, die ich kenne...

Martin: Haben die gesagt, es fällt ihnen schwer oder klingt‘s einfach nur so schlecht?

Anne: „Es klingt scheiße“ war die Aussage.

Martin: Ich denke mal, man hat irgendwie das Gefühl, daß es schlecht klingt. Ich hätte auch früher gesagt, wenn ich deutsch singe, wird’s nicht schön klingen. Bis ich natürlich auch mal Aufnahmen davon gehört habe und gedacht habe, „Ok, das ist 'ne Herausforderung, man kann das machen, man probiert's“. Lustigerweise funktioniert‘s ganz gut, ich hab' jetzt schon von dem ein oder anderen gehört, es fällt noch nichtmals auf, daß es Deutsch ist. Wenn man irgendwie so am Anfang nur mal kurz reinhört und sich nicht komplett auf den Text konzentriert, ist es nicht so der typische deutsche... Es ist wichtig, wie der Text geschrieben ist. Also du kannst 'nen deutschen Text schreiben, der ist ekelhaft zu singen, und du kannst versuchen ihn so zu stellen, oder so zu bauen, daß es paßt. Natürlich hast du dann immer wiederkehrende Worte, ich meine, wir haben ziemlich oft das Wort „Flamme“ und „Feuer“ und andere Sachen auf dem Album, die sich öfter mal wiederholen. Das ist aber meiner Meinung nach nicht schlimm, wenn man sich mal ein paar englische Texte anhört, da wiederholt sich eigentlich so ziemlich alles ständig. Grade Populärmusik. Was wir ja jetzt nicht unbedingt machen wollen.

Anne: Im Metal aber auch.

Martin: Im Metal, ja.

Anne: Warum habt ihr „Herbst“ nochmal in einer akustischen Version eingespielt? Wie seid ihr auf die Idee gekommen? Oder warum grade der Song?

Martin: Das war zum Teil Sanes Idee. Weil ich hab ja alle Lieder mehr oder minder - also auch das Zeug, das wir live momentan machen und auch ein paar, die wir noch nicht live gespielt haben - aber die hab' ich mehr oder minder alle, und hab' die alle zu Hause mal aufgenommen, d.h. ich war da in meinem Homestudio, hab' mich hingestellt und hab' die in meiner Version mal gesungen und der Band geschickt. Ich meine, durch die Distanz bin ich natürlich nur einmal im Monat oder so bei 'ner Probe dabei und das war grade am Anfang, da wollten die natürlich wissen, wie klingt das Zeug mit mir. Und „Herbst“ hat im ersten Moment Sane nicht gefallen und zwei Wochen später lief das irgendwie in Dauerschleife bei ihm, weil's ihm so gut gefallen hat wie ich's gemacht hab. Und er hat die ganze Zeit gemeint, er würde so gern in meiner Version 'ne Aufnahme davon haben. Und als es dann hieß, wir machen auf jeden Fall noch irgendwelche Bonustracks auf die CD, da hab' ich auch zu Sane dann gesagt, „Wie wär's denn, wenn wir „Herbst“ dann machen?“ Und da haben wir gesagt, „Rein akustisch wäre eigentlich 'ne Idee.“.

Anne: Könntet ihr euch vorstellen, auch mal ein komplett akustisches Album zu machen?

Martin: Das ist 'ne Frage, die immer wieder kommt. Aber...hm...natürlich, vorstellen kann man sich das, die Frage ist nur der Zeitaufwand; in der Zwischenzeit könnte man direkt wieder ein neues Album geschrieben haben und man will ja auch nicht irgendwie so... weiß nicht, vielleicht früher oder später. Martin druckst herum: Früher oder später. Vielleicht.

Anne: Und warum habt ihr ausgerechnet von „In die Schwärze der Nacht“ die Orchesterversion gemacht? Also mir gefällt sie gut. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Martin: Das umgekehrte. Es gab zuerst die Orchesterversion. Ich hab' das Lied arrangiert aus Ideeteilen mit Orchester. Und hab das Lied dann komplett halt wie es war so der Band gezeigt und unsere Angst war, daß das mit dem Orchester, wenn wir das nur bei einem Song machen, das nicht gut ankommt. Deswegen haben wir's dann erst in der normalen Version rausgelassen und haben's dann als Bonustrack aufs Album genommen. Aber das Lied ist quasi durch das Orchester überhaupt erst entstanden.

Anne: Hier auch die gleiche Frage: Könntet ihr euch auch ein ganzes Album vorstellen komplett mit Orchester?

interview_nachtgeschrei_20130506_02Martin: Komplett mit Orchester kann ich mir immer alles vorstellen, weil ich halt total vernarrt in orchestrale Sachen bin. Für das nächste Album steht's im Raum, daß wir ein paar mehr Songs mit Orchester machen. Das Problem ist halt immer die Liveumsetzung. Ich meine, das ist halt für das – für die Schublade, in die man immer gesteckt wird – kommen wir da nochmal hin -  ist es sowieso schon sehr unüblich, daß so viel vom Band kommt. Weil es kommen ziemlich viele Chöre von mir vom Band, und das kommt halt nicht immer bei den Leuten gut an. Und wenn dann soviel Orchester vom Band kommt, ist das auch immer so 'ne Sache. Andererseits möchte ich mich bei der Musik auch nicht mit 'nem Keyboard auf die Bühne stellen und das Zeug dann live spielen. Ich hab' früher mal bei 'ner Band hinterm Keyboard gestanden fast das komplette Konzert und dabei gesungen und das macht irgendwie keinen Spaß (lacht). Insofern – ich weiß nicht. Vielleicht machen wir das dann, daß das dann vom Band noch mitläuft; es gibt ja Bands, die haben bekanntlich keinen Bassisten und es läuft die ganze Zeit ein Band mit – aber generell – ja also wenn's nach mir geht ja, mehr Orchester! Wird man aber sehen müssen, wie sich das umsetzen läßt. Das ist ja auch immer ein Riesenaufwand. Also wenn, dann hätte ich gerne, daß es ordentlich drauf ist. Ich selbst bin noch nicht hundertprozentig zufrieden mit dem Sound des Orchesters wie er nachher auf dem Album war. Das könnte wesentlich natürlicher klingen, aber das ist halt, wie gesagt, ein unglaublicher Aufwand, der da betrieben werden muß und grade was das mischen angeht. Und so wie's jetzt ist, isses zwar in Ordnung, aber sollten wir aufs neue Album noch was drauf machen, muß das noch ein bißchen besser klingen.

Anne: Wo du eben schon das Proben angesprochen hast: Wie, wo, wann probt ihr?

Martin: Also die Band probt regelmäßig im Wiesbadener Bereich, im Taunus. Aber da ich immer mit dem Zug hochfahren muß und das früher oder später dann irgendwann doch ins Geld geht haben wir halt beschlossen  - und ich brauch ja auch nicht so viele Proben... (lacht). Nee, es ist ja normalerweise so, was viele Bands in den Proben machen, ist halt neue Songs schreiben oder das Programm zum x-ten Mal wiederholen. Das Programm wiederholen kann ich als Sänger alleine zu Hause eigentlich ganz gut, weil ich von allem irgendwelche Playbacks hab. Die Band tut auch manchmal gut daran – das müßten andere Bands vielleicht auch mal machen – ohne Sänger zu proben, dann weiß man wenigstens auch wo man grade im Song ist, auch wenn man den Sänger mal grade nicht hört. Also insofern, einmal im Monat proben wir gemeinsam und die Songs schreiben machen wir ja in diesen extremen Sitzungen im Schwarzwald.

Anne: Das sind dann immer Sessions?

Martin: Das sind dann immer schöne Sitzungen so über verlängerte Wochenenden oder mal 'ne ganze Woche, wo man sich dann dort irgendwie einsperrt.

Anne: Zum Beispiel in dem Song „Unter deinem Licht“, das hat ja diesen schönen akustischen Anfang, macht das Spaß auch mal sowas zu singen oder ist das eher schwierig zu singen, wenn man den Sänger so deutlich raushört?

Martin: Da ich das Lied geschrieben habe, macht das wahnsinnig Spaß (lacht). Ich will mir jetzt hier nicht alle Lorbeeren klauen oder so aber...ja, da komm ich schön arrogant rüber, aber nee, das ist halt auch einer von meinen Songs. Nee, natürlich macht mir das Spaß, aber ich hab glaub‘ ich auch bei den anderen Bands auch immer ruhige Sachen.

Anne: Ja, aber ich weiß nicht, ob jetzt so extrem. Ich hab' mir jetzt nicht alles nochmal komplett durchgehört.

Martin: Balladen gehören zum Metal dazu wie … Butter aufs Brot. Keine Ahnung.

Anne: Wenn du das sagst...

Martin: Ich sage das. Es gibt Leute, die mögen keine Balladen, und ich sage, 'ne Ballade muß sein.

Anne: Wie seid ihr als relativ kleine Band an Travis Smith als Coverkünstler gekommen?

Martin: Das kann ich dir gar nicht sagen.

Anne: Warum nicht?

Martin: Was heißt relativ kleine Band? Travis Smith ist ein Auftragskünstler, wenn man's genau nimmt. D.h., wenn man ihn bezahlt, dann macht er einem auch das Cover. Das ist das was ich sagen kann, als derjenige, der auf 'nem Album drauf ist, das auch das Cover von Travis Smith bekommen hat. Also für die Band, für NACHTGESCHREI selbst, kann ich das nicht beantworten, weil ich damals nicht dabei war, als das erste Cover entstanden ist. Aber ich denke mal, die werden ihn angeschrieben haben.

Anne: Also das Cover gab's dann schon bevor ihr überhaupt die Songs geschrieben habt?

Martin: Nee, es ist nicht das erste Travis Smith-Cover. Das „Ardeo“ war auch von Travis Smith und ich glaube, das davor auch. Also das ist nicht das erste Mal. Ich glaub', alle NACHTGESCHREI-Cover sind von Travis Smith, bis aufs erste. Bin mir aber jetzt nicht sicher.

Anne: Und die Aufnahmen beim Phil hast du angeleiert?

Martin: Nee. „Ardeo“ wurde auch schon bei Phil aufgenommen.

Anne: Auch schon?

Martin: Das ist auch schon passiert. Aber ich überlege grade, ob „Ardeo“... nee, es war nicht meine Schuld. Ich hab' keine Ahnung. Also bei Phil waren se vorher schon. Das letzte Album wurde auch bei Phil aufgenommen. Wenn ich mich recht entsinne, sogar das Album davor. Zum Teil. Ich glaube, wenn ich mich recht entsinne, wurde das zweite Album zum Teil, nämlich Gitarre, Schlagzeug, Bass bei Phil aufgenommen, die Folker bei Erik und Hotti hat bei sich zu Hause eingesungen. Und dann bei „Ardeo“ waren alle zum ersten Mal bei Phil aufnehmen. Und jetzt nochmal. Also quasi in meinem zweiten Wohnzimmer.

Anne: Ihr habt ja jetzt die Tour erst mal hinter euch. Wie ist die denn so gelaufen?

Martin: Naja, das Problem ist, wenn du als Band so 'ne Einjahrespause hast und bist dann von den meisten Leuten noch abgeschrieben, weil der alte Sänger ab ist, war das schon 'ne heikle Sache, 'ne eigene Clubtour zu fahren - was man bei manchen Clubs gemerkt hat. Also ich weiß nicht, ob's nur daran liegt, teilweise auch mangelnde Werbung irgendwo. Aber ein gutes Beispiel ist zum Beispiel München, da waren zwar 160 Leute da, aber beim letzten Konzert mit Hotti war die Hütte ausverkauft. Das ist dann glaub' ich ungefähr das Doppelte, was dann da reinpaßt. Also es war schon viel los, aber halt einfach nicht so viel, wie man es sich erhofft hätte. Das ist schade. Ansonsten war‘s aber toll. Ich glaube, es gab kein Konzert, bei dem die Leute irgendwie enttäuscht nach Hause gegangen wären – im Gegenteil, ich glaube, die kommen auch wieder, die jetzt da waren. Es war auch wirklich toll, war auch für mich 'ne neue Erfahrung. Ja, Aber ich denke mal, was jetzt für uns wichtiger ist, daß wir jetzt auf den Festivals die Leute wieder ansprechen, die nicht freiwillig gekommen wären. Und dann in Zukunft freiwillig kommen.

Anne: Also ihr spielt dann jetzt auch viele Sommerfestivals?

Martin: Wir spielen jetzt auffem Rock Harz spielen wir so 'ne Eröffnungsshow, also am Tag vorher, wo's diese dankbaren Eröffnerdinger...das streichst du bitte...(lacht). Wir spielen – nächste Woche ist das schon, nee, übernächste Woche – spielen wir auf dem WGT, da spielen wir zweimal, einmal mittags, einmal abends direkt vor SALTATIO MORTIS, da denk ich mal werden auch einige Leute wegen SALTATIO bleiben und nicht heimfahren, deswegen haben wir da gute Chancen, noch ein paar Leute aus unserem Metier zu erreichen. Ja und noch so ein paar andere Sachen. Das Schiffenberg rockt, spielen wir glaub' ich dieses Jahr. Ja, ein Haufen Festivals von dieser Art. Und da sind wir auch ganz froh drum. Ich glaube, was wir definitiv nochmal bräuchten wäre noch einmal eine vernünftige Support-Tour um einfach zu zeigen, daß wir noch da sind. Das Blöde ist halt, daß Hotti zu einem für die Band denkbar ungünstigen Zeitpunkt ausgestiegen ist. Ich meine, wenn man grade – ich hab' das irgendwann zwischendrin mal so bezeichnet - bei der Musik mit SUBWAY auf Tour zu gehen, das ist als wär' ich mit TOMORROW'S EVE mit DREAM THEATER auf Tour gegangen. Das ist so, grade bei der Musik die man macht, quasi die Oberklasse mit der man da fährt. Und würde TOMORROW'S EVE mit DREAM THEATER auf Tour gehen und anschließend steige ich als Sänger aus, würden die auch ziemlich blöde aus der Wäsche gucken. Aber das ist halt – ich weiß nicht, ich kann's schwer beschreiben – das ist ein Jahr, das muß die Band jetzt wieder aufholen. Aber da sind wir jetzt schon wieder gut dabei, denke ich.

Anne: Und wenn ich das richtig mitbekommen habe, warst du teilweise krank auf Tour?

Martin: Ja, das lag aber daran, ich hab' mir auf dem – ich weiß es gar nimmer – in Osnabrück hab' ich mir ein bißchen die Stimme versungen. Das wäre nicht schlimm gewesen, weil ich hatte danach ja 5 Tage frei, hab aber dann in den 5 Tagen 'ne Erkältung bekommen und mußte dann auf die Erkältung in Frankfurt singen. Und am nächsten Tag war die Stimme wirklich total kaputt und ich habe trotzdem das Konzert noch gesungen, was natürlich dazu geführt hat, daß ich in Ingolstadt mit 'ner Kehlkopfentzündung auf der Bühne stand. Ich als Gesangslehrer sage, das ist absolut verantwortungsloses Verhalten, jeder HNO würde mich dafür ohrfeigen, wär' ich mein eigener Schüler, würde ich mir auch 'ne Schelte halten... Kinder, macht das nicht zu Hause! Aber es ist halt – man kann‘s manchmal nicht verhindern. Es wäre glaube ich schlimmer gewesen für die Band, das Konzert abzusagen als ein schlechtes Konzert zu spielen. Und die Leute, die da waren, haben's mir glaub‘ ich verziehen. Also, ich kann‘s nicht sagen, da gibt’s noch keinen Konzertbericht davon; vielleicht ist das auch gut so (lacht). Aber die Leute, mit denen ich nachher gesprochen habe, die waren auch überzeugt.

Anne: Warum werden Sänger so oft krank? Oder sind die einfach nur anfälliger?

interview_nachtgeschrei_20130506_03Martin: Das hat damit nix zu tun. Ich mein, die ersten zwei Konzerte war der Leierspieler fürchterlich krank, aber wenn ich ein Instrument mit meinen Fingern bediene, isses mir völlig wurschd, ob ich 'ne Erkältung habe oder nicht. Das Problem ist halt, daß du beim Gesang mit deinem kompletten Körper Einsatz bringen mußt. Und 'ne Tour ist irgendwo immer eine Herausforderung. Das Problem fängt schon damit an, wenn du 12 Stunden unterwegs bist, bis du bei der Venue bist, dann hast du überhaupt keine Möglichkeit, dich überhaupt in irgendeiner Form zu releaxen, gehst dann mehr oder minder direkt auf die Bühne, hast in dem Laden auch noch schlechte Luft, dann kriegst du noch irgendwelchen Rauch auf die Bühne gepustet und anschließend mußt du dich noch mit Leuten unterhalten, während im Hintergrund donnernde Musik läuft, das heißt du mußt da in der Gegend rumbrüllen, damit man dich versteht...also nix dagegen, ich unterhalt mich ja gern mit den Leuten, aber das sind halt alles diese Umstände, die dazu führen. Ich trinke seit Wochen keinen Alkohol mehr, ich trinke nach den Konzerten keinen Alkohol um mich zu schonen, weil ich weiß, ich bin am nächsten Tag am heulen... Also man kann machen, was man will, um sich zu schonen – mal abgesehen von den Zigaretten – aber das passiert halt. Klar. Sänger leiden drunter.

Was halt viel schlimmer ist: es ist meistens ein Kostenfaktor. Das da ist jetzt harmlos gewesen mit den drei Konzerten hintereinander, da war es halt nur mit der Erkältung echt schlechtes Timing. Aber wenn ich dran denke, wir waren mit TOMORROW'S EVE mal auf 'ner Tour ohne Off Day, 3 Wochen am Stück durchsingen, da schlackert jeder Sänger mit den Ohren und das wird halt nur deswegen ohne Offday gebucht, weil das halt Geld kostet. Jeder Tag, an dem nicht gespielt wird, kostet Geld. Das heißt, weil irgendjemand kein Geld bezahlen will, muß ich mir meine Stimme versingen. Das sind halt so diese Sachen, die – weiß nicht -  teilweise nicht so rund laufen, wie sie sollten. Übrigens eines der Beispiele mit diesen Fahrten und der schlechten Luft und dem Ausruhen, wo man viele Sachen vielleicht verstehen kann, das ist diese NIGHTWISH-Tarja-Geschichte damals zum Beispiel mit dem eigenen Hotelzimmer, statt mit dem Bus mitfahren  - und Bus ist echt tödlich für die Stimme, da drin ist ‘ne miese Luft, und wenn du Pech hast, hast du noch jemanden in der Band, der raucht, oder mehrere und die verquarzen dir den ganzen Bus... Also es ist schwierig. Es ist echt schwierig. Ich kann darüber als Gesangslehrer ganz viel erzählen, und ich hab' genug Schüler, die Schäden ausbügeln müssen, die sie sich damit angesungen haben, und ich hoffe, dass mir das jetzt nicht noch nach diesen drei Tagen auch noch blüht.

Anne: Das hoffe ich für dich auch. Kannst du irgendwas drüber sagen, warum das Konzert in Mainzweiler jetzt verlegt wurde? Oder lieber nicht?

Martin: Gemeiner Teufel! (lacht)

Anne: Ja mir isses recht, ich konnte ja nicht an dem Tag.

Martin: Warum genau es verlegt worden ist, kann ich nicht sagen, aber soviel ich weiß, isses ja nur verschoben, das heißt, bis 7. Dezember  - wenn's dann ausfallen sollte, wer weiß vielleicht gibt’s da irgendwelche Gründe. Kann mit dem Hexentanz zusammenhängen, das zwei Wochen später oder 'ne Woche später gewesen wäre.

Anne: Ja, ne Woche später. Naja. NACHTGESCHREI sind ja jetzt eigentlich 'ne relativ aktive Band…

Martin: Ja, sehr aktiv.

Anne: Wie kannst du das mit deinen anderen Bands koordinieren?

Martin: Die anderen sind sehr inaktiv (lacht). Dadurch, daß die anderen so furchtbar inaktiv sind. MEKONG schreibt zwar jetzt grade neues Material, TOMORROW'S EVE auch, es dauert aber bei beiden Bands noch, aus ganz anderen Gründen  - teilweise privater, teils technischer Natur – ein bißchen länger. Also bei MEKONG dauert halt einfach 'ne CD zu schreiben 'ne zeitlang, weil Ralf sich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden gibt und dann natürlich auch 'nen Anspruch an sich selbst und an das Produkt hat, deswegen wird da auch nicht so übereilt, nehme ich an. Und bei TOMORROW'S EVE halt einfach weil – keine Ahnung. Da gab's privat halt ein paar Sachen, die die Band pausieren ließen... Aber: Man ist aktiv dabei. Ich hab' sogar schon ein paar neue Sachen gehört, die mir sehr gut gefallen. Aber da bin ich in den Songwritingprozeß momentan nicht mehr so involviert wie vorher, weil ich halt einfach mit NACHTGESCHREI... Das ist der Effekt, den NACHTGESCHREI momentan hat, daß ich im Songwritingprozeß von meinen anderen Bands teilweise nicht mehr so stark involviert bin.

Anne: In wie vielen aktiven Bands bist du denn jetzt?

Martin: Aktiv bin ich bei MEKONG, TOMORROW'S EVE und NACHTGESCHREI. Und dann natürlich noch das ein oder andere Projekt wie LALU.

Anne: Hast du da Prioritäten welche Band dir irgendwie wichtiger ist oder welche dir am meisten Spaß macht?

Martin: Also, was heißt Prioritäten, wichtiger, Spaß? Es ist halt tatsächlich so, daß die Bands momentan ihre Prioritäten selbst legen, ohne daß ich da viel tun muß. NACHTGESCHREI hat ein sehr gut funktionierendes Booking-Unternehmen mit extratours, das heißt, da wird halt viel passieren, da geht auch mehr. Da ist auch die Nachfrage viel höher als auf der progressiven Schiene. Prog ist leider halt wirklich 'ne Nische. Da kann man halt drüber diskutieren, aber die Auftrittsmöglichkeiten zum Beispiel und die Nachfrage danach sind nicht so hoch. Und auch da isses nicht so, daß nicht das Publikum so reichhaltig wäre, daß sich 'ne Clubshow, oder 'ne Clubtour irgendwie jetzt direkt rechnen würde, wenn man jetzt einfach mal eine macht. Keine Ahnung. MEKONG, klar, wenn das Album fertig ist, wird’s vielleicht ein Konzert geben, ein, zwei, aber da war's auch immer so, daß wir keine Touren gemacht haben, auch einfach, weil man merkt, die Leute kommen zu zentralen Festivals eher, als wenn man jetzt irgendwie fünf, sechs Konzerte hintereinander spielt und sich dann, keine Ahnung, diesen Nischenbereich, der einfach groß verteilt ist, dann auf kleine Venues aufteilen muß, dann doch lieber auf ein Festival, das zentral ist. Die Leute kommen teilweise für MEKONG 800 km weit gefahren, weil sie sie halt einfach sonst nie sehen können. Das soll jetzt nicht heißen, daß wir das den Leuten zumuten wollen, aber es ist halt einfach das, was eher funktioniert hat in den letzten paar Jahren als jetzt irgendwelche Touren anzusetzen oder so.

Anne: Dann noch die schon 1000mal gestellte Frage: Wann spielt ihr mal mit MEKONG DELTA im Saarland?

Martin: Die Frage hat mir noch keiner gestellt...(lacht) Also das ist halt genau das Ding. Ich hab' keine Ahnung, wie das mit MEKONG momentan weiter geht, also wann die CD fertig ist und dann werden wir mal schauen, wie es überhaupt da livemäßig weiter geht. Ich denke schon, daß da das ein oder andere Konzert kommt, aber grade im Saarland halte ich es für unwahrscheinlich...

Anne: Ich würd' auch Rheinland-Pfalz nehmen...

Martin: Rheinland-Pfalz...schaun wer mal...ma gucken. Ich kann das nicht sagen.

Anne: Und TOMORROW'S EVE?

Martin: Ja, TOMORROW'S EVE – wenn das Album fertig ist, werden wir mit Sicherheit irgendein CD-Release-Konzert oder so machen.

Anne: In fünf Jahren dann?

Martin: Naah...eigentlich war es tatsächlich geplant, daß wir dieses Jahr mit dem Album fertig werden und der Release so Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres sein soll. Sportlich, aber wir schauen mal.

Anne: Gibt's auch irgendwann mal Liveauftritte von LALU oder ist das eher nur so ein Projekt?

Martin: Das wird wegen den Musikern schwer, weil die meisten Leute auch in anderen Bands involviert sind, grade mit dem Bass, also Michael LePond von SYMPHONY X, der hat glaube ich so viel zu tun, daß er nicht mal grade eben nach Europa fährt. Denkbar wäre sowas mit irgendwelchen großen Progfestivals, wo die Bands eh alle da sind oder sowas. Aber generell halte ich es für schwierig, das live umzusetzen, zumindest mal mit der Besetzung. Vielleicht in ‘ner gekürzten Besetzung mit dem Kernpool. Ich meine, es sind ja viele Gastmusiker dabei, aber theoretisch möglich. Ich will's nicht ausschließen.

Anne: Und wie bist du zu LALU gekommen?

Martin (lacht): Das war 'ne lustige Geschichte, weil wir mal für BROKEN GRACE - für die gute alte BROKEN GRACE-Nummer - irgendwann überlegt haben, einen Keyboarder mit einzubeziehen, ich weiß nicht, ob du dich an BROKEN GRACE erinnerst?

Anne: Ja, doch, dunkel...

Martin: Ja, und das war ja wirklich Prog ohne Keyboard und Chris [Dörr, Anm. d. Verf.] und Al [Alex Landenburg, Anm. d. Verf.] haben drüber nachgedacht, da Keyboards mit reinzubringen. Und Alex hat irgendwie übers Internet ein paar Keyboardvirtuosen aufgetan und keine Ahnung – hat denen das Zeug geschickt, die haben was zurückgeschickt und irgendwann hatte sich das mit BROKEN GRACE erledigt und ein Jahr später hat mich dann irgendein Franzose angehauen und wollte wissen, ob ich Lust habe, bei ihm auffem Album zu singen. Hab' erst später erfahren, daß das einer der Keyboarder war, die der Alex damals für BROKEN GRACE aufgetrieben hatte. Und das eine Lied, das er dem mitgeschickt hatte, da hat ihm mein Gesang so gut gefallen, daß er mich haben wollte. Zufälle.

Anne: Du schreibst ja auch Songs für Filme, Spiele und so Kram. Wie kann man sich das vorstellen?

Martin: Teilweise trete ich an die ran, teilweise treten die an mich ran, das ist halt  - gerade das ist ein schreckliches Business, da ist ziemlich viel schon in fester Hand. Das ist einer der Gründe, warum ich z.B. noch kein GEMA-gemeldeter Komponist bin. Weil grade für die großen Firmen 'nen Job zu bekommen ist so gut wie unmöglich, weil die fragen schon die fest etablierten Musiker. Theoretisch hätte ich die Möglichkeit eventuell mal irgendwann bei einer dieser Firmen unterzukommen, die viele Komponisten unter Vertrag haben. Zum Beispiel die wenigsten Leute wissen, daß es Firmen gibt – ich will jetzt keine Namen nennen – die haben halt mehrere Komponisten für sich arbeiten und für ein Spiel kommt dann die Musik raus, da ist dann ein großer Komponist drauf, der Rest sind dann Leute, von denen hat man noch nie was gehört, aber die sind dann meistens besser als der eine große Name. Und jeder redet bei dem Soundtrack dann immer nur von dem einen großen Namen. Das ist halt immer ganz furchtbar. Aber wie gesagt, diese Firmen bieten das halt zu unglaublich günstigen Konditionen und weil sie so viele Komponisten gleichzeitig haben in unheimlich kurzer Zeit an. Gegen sowas anzukommen ist unheimlich schwierig. Grade als No-Name in der Branche. Deswegen mach ich das meistens halt für Amateurfilme oder für Projekte von Hochschulen oder für Gameentwickler, die das erst mal so auf ihre eigene Kappe machen, aber nicht immer in einer großen Entwicklerschmiede oder sowas sitzen.

Und im dem Moment, wo man GEMA-gemeldet ist, müßten die auch GEMA bezahlen, deswegen bin ich momentan nicht GEMA-gemeldet. Das ist kein GEMA-Bashing, ich bin eigentlich ein großer Freund der GEMA. Ich bin einer der wenigen Menschen, die nichts gegen sie haben. Mal von irgendwelchen Tarifen für Veranstaltungen oder so mal abgesehen. Aber generell halte ich die Institution selbst für absolut notwendig. Immer noch. Genauso wie das Copyright. Das Statement mußte ich loswerden (lacht). Aber auf die ein oder andere Weise: Ich kann teilweise nicht verstehen, warum es Musiker gibt, die ein dermaßen großes GEMA-Bashing betreiben. Mir wäre es halt auch lieber, sie wären nicht ganz so starr. Daß ich sagen kann, auf das und das Lied möchte ich nicht irgendwie GEMA-abgerechnet werden. Ich glaube, das sind so die Sachen, die die Leute teilweise in die Verzweiflung treiben. Generell muß sich bestimmt was ändern, aber diese Diskussion führe ich öfter mal mit Freunden von mir, die sich da aktiv zum Beispiel bei den Piraten irgendwie engagieren. Aber generell ist es halt wirklich ein schweres, großes Thema, was das Copyright angeht. Aber wirklich aus den Gründen, daß ich überhaupt noch irgendwelche Angebote bekomme mache ich das momentan mit der GEMA-Meldung nicht. Ja, und dann sitz ich dann da und arbeite mit Cubase wie die meisten Komponisten halt auch mit den virtuellen Instrumenten, wie auch das Orchester entstanden ist bei „In schwärzester Nacht“.

Anne: Und du arbeitest ja auch noch als Gesangslehrer, Vocalcoach... Kannst du mittlerweile von der Musik leben?

Martin: Ja, wenn man's genau nimmt, mache ich ja nix anderes. Der Gesangsunterricht, der bezahlt mir quasi meinen Lebensunterhalt. Wobei ich sagen muß, daß ich mit den Bands noch nicht mal meine Miete bezahlen könnte. Also das ist halt wirklich so 'ne Sache. Musik bleibt eine Leidenschaft. Also jeder bei NACHTGESCHREI  - oder auch bei allen anderen Bands - da hat fast jeder noch irgendwie einen anderen Job. Und bei mir ging das halt nur mit dem Gesangsunterricht einigermaßen. Und halt über die Nebeneinnahmen. Über halt solche Sachen wie dieses Komponieren oder so. Richtig viel, richtig gut leben vom Singen alleine funktioniert nicht mehr. Da haben sich die Zeiten geändert. Auch einer der Gründe, warum ich so an diesem Copyright festhalte. Vor 30 Jahren hätte ich mit dem, was ich jetzt mache, tatsächlich noch meine Miete bezahlen können. Keine großen Sprünge gemacht, aber ich hätte davon leben können. Aber inzwischen funktioniert das gar nicht.

Anne: Könntest du dir auch vorstellen, als Opernsänger oder sowas in der Art zu arbeiten?

Martin: Ich hab' tatsächlich schon mal vorgesungen für Musicalrollen. Das ist jetzt momentan mal wieder eine ein bißchen schwierige Geschichte weil das würde nicht funktionieren wegen den Zeiten. Ich hatte auch – ich weiß nicht, ob dir bekannt ist, mein Vater ist ja tatsächlich im Opernchor in Saarbrücken – ich hab' auch mal irgendwann gedacht, ich könnte ja auch mal versuchen, noch auf Belcanto umzusatteln, das würde aber – das kann ich dir als Gesangslehrer sagen – mindestens zwei Jahre dauern, bis ich meine Stimme so umtrainiert hätte, daß das einigermaßen gut klingt. Und dann ist so 'ne Anstellung am Staatstheater eigentlich was tolles, aber langsam bin ich auch dafür einfach zu alt, da noch einzusteigen. Die haben auch ein Einstiegsalter. Und das ist halt alles so 'ne Geschichte. Drüber nachgedacht ja, mit Sicherheit, aber im Moment hängt mir das Herz zu sehr am Rocken und auf der Bühne stehen.

Anne: Hast du noch andere Hobbies außer Musik oder hast du überhaupt noch Zeit für andere Hobbies?

Martin: Filme und Spiele. Die gehören ja teilweise mit zu meinem Job. Aber trotzdem kann ich sie tatsächlich noch genießen. Auch tatsächlich Spiele, die nicht über einen Bildschirm flitzen, also man trifft sich auch mal ganz ruhig bei Kollegen, zum Rommé und Rummikub spielen oder sowas aber richtig viel Zeit für große generelle Hobbies... ich versuch's immer wieder mal, ich hab' mal 'ne Zeitlang wieder versucht, etwas Kampfsport zu machen...

Anne: Schwimmen!

Martin: Schwimmen...hab' ich auch probiert. Aber da ist...das blöde ist ja auch bei dem Gesangsunterricht, man muß sich da auch den Leuten anpassen, wann sie so ein bißchen Zeit haben, und das fällt meistens genau in die Zeiten, wo andere Leute dann ihrem Hobby nachgehen – weil die gehen ja grade ihrem Hobby nach. Und das beißt sich dann alles so ein bißchen. Deswegen ist es für mich halt momentan sogar schwierig, meinen Führerschein fertig zu machen. Da bin ich jetzt ewig dran gewesen. Dummerweise sind die Theoriestunden auch jetzt momentan grade genau dann, wenn meine Schüler auch da sind. Und das ist alles nicht gut.

Anne: Dann Mußt du den ohne Theoriestunden machen.

Martin (lacht): Ob das funktionert?

Anne: Gut, du hast's geschafft!

Martin: War's das schon?

Anne: Ja, das war's schon!

Martin: Das war ja ein langweiliges Interview…

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