Drucken

In den letzten Jahren mauserten sich PORCUPINE TREE zu eine der führenden Bands in der Neo-Prog-Szene. Vor allem seit ihren eher songdienlicheren Alben Ende der Neunziger gehören sie zu den intelligentesten und relevantesten Rockbands unserer Tage. Im letzten Jahr veröffentlichten sie ihren Neunten Longplayer „Fear of a blank Planet“, um nur ein knappes Jahr später mit der EP „Nil Recurring“ nachzulegen. Zeit also sich ein wenig Einblick in das Wesen dieser Gruppe um Mastermind Steven Wilson zu verschaffen. Zu meinem Leidwesen war es ihm allerdings nicht möglich das Interview mit mir zu bestreiten, dafür erklärte sich Bassist Colin Edwin bereit, mir ausführlich Rede und Antwort zu stehen. Zwar konnte er mir keine Auskunft über die Produzententätigkeit des Bandgründers geben, dafür hatte er die eine oder andere interessante Anekdote auf Lager.

MetalPfälzer: Hallo Steven, zuerst will ich Dir dafür danken, dass Du Dir die zeit nimmst um meine Fragen zu beantworten.

Colin Edwin: Hier spricht Colin Edwin. Offensichtlich hast Du es mit mir zu tun, weil Steven nicht die Möglichkeit hatte das Interview zu machen.

MetalPfälzer: Nun gut, die erste Frage bezieht sich gleich auf euere neue EP „Nil Recurring". Diese war zuerst nur über euren Online-Shop oder auf Konzerten erhältlich. Warum habt ihr euch doch dazu entschieden, sie offiziell zu veröffentlichen?

colin_edwin.jpg Colin Edwin: Wir konnten über die uns vorhandenen Wege, also Internet und Merchandise unweigerlich nur eine begrenzte Anzahl an Leuten erreichen. Die Veröffentlichung über eine Plattenfirma ermöglicht uns einen viel weitreichenderen Vertrieb. Die Fans, die nicht so stark in die Materie eintauchen wissen vielleicht gar nichts von der EP. Auch in Zeiten in denen alles über das Netz erhältlich ist, erreicht man über gewöhnliche Läden immer noch mehr Leute.

MetalPfälzer: Warum wurde „Nil Recurring" über Peaceville veröffentlicht und nicht über euren normalen Vertragspartner Roadrunner?

Colin Edwin: Peaceville wollte die EP gerne heraus bringen, während Roadrunner nicht so interessiert war, da sie lieber ein vollständiges Album gehabt hätten.

MetalPfälzer: Die Songs von „Nil Recurring" sind sehr experimentell ausgefallen. War das so angedacht, oder entwickelten die Songs sich im Studio so?

Colin Edwin: Die Dinge schlagen tatsächlich immer ihren eigenen Weg ein. Es gab nie eine bewusste Entscheidung, um die Titel in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Vielleicht klingt das Material auf „Nil Recurring" abenteuerlicher und es hat eventuell auch weniger kommerzielles Potential, aber es hat immer noch einen starken Bezug zu unserem letzten Album, sowohl thematisch als auch musikalisch.

MetalPfälzer: Ist dieses Release eher stilgebend für euer nächstes Album oder waren da nur Ideen übrig, die nicht auf den letzten Longplayer gepasst haben?

Colin Edwin: Die Lieder auf der EP wurden zur selben Zeit geschrieben und arrangiert wie die von „Fear of blank Planet". Ein paar blieben einfach übrig, da wir das Gefühl hatten, der Fluss des Albums und die optimale Länge würden sich ohne diese Titel besser machen. Ich mag auch nicht von Restmaterial sprechen, wenn ich an „Nil Recurring denke, eher von einem Begleitwerk.
Die heutige Technologie macht es möglich eine ganze Menge Musik auf eine CD zu pressen, aber wir setzen für ein großartiges Album einfach voraus, dass es in einem Zug zu hören sein muss. Wir spielten ja auch Konzerte, auf denen wir in einer Hälfte des Auftritts das ganze Album in der ausgesuchten Reihenfolge darboten. Ich denke, dass es eine ideale Zeit gibt, die eine Platte haben sollte, wenn Du die überziehst läufst Du Gefahr, dass der Fluss verloren geht und die Message nicht mehr auf den Punkt kommt. Das heißt nicht, dass wir unserem Publikum nicht zutrauen Musik länger aufmerksam aufnehmen zu können, aber ich kann für mich nur sagen, dass ich nichts, egal wie sehr ich es mag 75 Minuten Nonstop zuhören kann.

MetalPfälzer: Im Herbst 2006 habt ihr ein sehr mutiges Experiment gewagt, als ihr eure Shows mit dem kompletten Material eines unveröffentlichten Albums begonnen habt. Was wolltet ihr damit erreichen, oder wie kam es dazu?

porcupinetree.jpg Colin Edwin: Der wichtigste Grund war, das Material zu spielen, um damit in der Live-Situation vertraut zu werden, bevor wir ins Studio gehen um es aufzunehmen. Normalerweise passiert es, dass du nach längerer Zeit, in der Du mit einem Album tourst, vertrauter wirst mit dem was du auf deinem Instrument spielst und vielleicht ersetzt du dann auch Teile von Deinem Spiel für etwas besseres. Aber dann ist es natürlich zu spät noch etwas zu machen. Also gab es uns als individuelle Musiker die Möglichkeit unsere Parts innerhalb des Grundgerüstes unserer Musik weiter zu entwickeln.
Die 2006er Tour brachte uns den Vorteil, es uns zu erlauben die neuen Tracks vor einem Publikum zu testen, um deren Reaktionen zu sehen. Diese waren unglaublich positiv, was uns sicherlich mehr Zuversicht in das Material gab.

MetalPfälzer: Der Song „Cheating the Polygraph" wurde auf dieser Tour live gespielt, aber er taucht nicht auf „Fear of a blank Planet" auf. Warum wurde der Song ersetzt und durch welchen?

Colin Edwin: Durch „Way out of here", der erst nach dieser Tour fertig gestellt wurde. Wir hatten dann das Gefühl dass er besser zum Fluss des Albums passt als „Cheating the Polygraph.

MetalPfälzer: Für mich klingt „Fear of a blank Planet" mehr wie frühere PORCUPINE TREE, mit weiträumigeren Arrangements und mehr Keyboards als zuletzt. Seid ihr ernsthaft einen Schritt zurück gegangen?

Colin Edwin: Nein, hier kann ich Dir nicht zustimmen, da ich der Meinung bin, dass wir mehr in neue Sphären vorgedrungen sind als je zuvor. Dazu haben wir mit „Fear of a blank Planet" endlich unseren ganz eigenen Sound definiert.

MetalPfälzer: Jeder einzelne Song auf dem noch aktuellen Album erinnert mich an eine andere Veröffentlichung von PORCUPINE TREE, aber in ihrer Gesamtheit klingen sie trotzdem sehr dicht. Witzig, irgendwie wie eine „Best of" mit nur neuen Songs. Wie denkst Du heute mit ein wenig Abstand über die Scheibe?

Colin Edwin: Für mich ist es das beste Album, wahrscheinlich hat das auch damit zu tun, dass wir es auf Tour testen konnten, bevor wir es aufnahmen. Ich bin froh darüber, dass Du uns einen identifizierbaren eigenen Sound attestierst, denn das ist denke ich etwas wonach alle Bands streben. Wenn wir uns mit jeder Platte verändern und entwickeln aber trotzdem einen wiedererkennbaren Sound behalten, dann ist das wirklich eine Leistung.

MetalPfälzer: Die Texte auf diesen beiden Releases sind sehr düster und depressiv. Sie handeln von der Degeneration der Menschheit durch den medialen Overkill und den übertriebenen Gebrauch der Technik. Warum drehten sich eure Gedanken so sehr darum in der Kompositionsphase?

Colin Edwin: Ich denke, es ist sehr traurig, aber es ist eine Sache, der Du Dich zurzeit kaum entziehen kannst. Aufgrund eines kaum schlechter möglichen Timings kam „Fear of a blank Planet" an einem Tag heraus, an dem es eine Schiesserei an einem US-College gab. Unglücklicherweise zeigte das Video, dass wir gedreht hatten, um den Titeltrack zu promoten, durchgeknallte Kids, die mit Waffen herumhantierten und Gegenstände zerstörten. Aus Respekt vor den Vorfällen zogen wir das Video dann zurück.
Es ist die dunkelste Seite der Technologie, trotz allem Segen die uns das Leben im Informationszeitalter bringt. Kinder können heutzutage im Netz lernen, wie man Bomben in ihrem eigenen Zimmer baut, können sich Mord, Exekutionen, Pornos und vieles mehr anschauen, bis sie so weit von der Realität entfremden, dass sie sogar auf die Idee kommen auf ihre Mitschüler und Freunde zu schießen. Es ist nicht nur ein US-amerikanisches Phänomen, es passierte auch schon oft in Europa.

MetalPfälzer: Ihr seid schon sehr lange in diesem Business. Was inspiriert auch noch außer solchen Dingen? Was treibt euch voran, persönliche Dinge oder Dinge, die um euch herum passieren?

edwin_live.jpg Colin Edwin: Mit der Zeit verlieren die direkten musikalischen Einflüsse an Stellenwert, und andere Dinge gewinnen größere Bedeutung. Das kann alles sein, Deine Beziehungen, Deine Erfahrungen, gute sowie schlechte, aber das ist natürlich bei jedem anders.
Etwas, das mich persönlich am meisten inspiriert hat, waren meine Reisen nach Nordafrika in den letzten zehn Jahren oder so. Ich hatte nie ein besonderes Interesse an der Musik anderer Kulturen, bis ich ein paar Gnawa-Musiker traf als ich in Marokko weilte. Das führte mich zu einer ganzen Reihe an Erfahrungen und brachte mich dazu mein Projekt EX-WISE HEADS mit Geoff Leigh aus der taufe zu heben.
Wir haben gerade unser viertes Album veröffentlicht und ich glaube man kann sagen, dass das die hauptsächlichste Inspiration war. Ich bemerkte auch wie eine Menge anderer Künstler ebenfalls Notiz von afrikanischer Musik nahmen. Leute von Damon Albarn bis Robert Plant und auch Formationen wie KILLING JOKE, die ja mit arabischen Musikern einige Alben aufgenommen haben.

MetalPfälzer: John Wesley tourt seit ein paar Jahren als Gitarrist und Background-Sänger mit euch. Wie kam es dazu und warum fiel eure Wahl ausgerechnet auf ihn?

Colin Edwin: Steven kennt Wes über den Sänger FISH, mit dem beide schon zusammen gearbeitet haben.

MetalPfälzer: Warum ist er kein festes Mitglied von PORCUPINE TREE?

Colin Edwin: Es gibt eine sehr genau definierte und ungewöhnliche Balance zwischen den Persönlichkeiten innerhalb unserer Band und niemand will eine weitere Person zu der Mischung zulassen. Wes ist Teil unserer Live-Show hat aber kein Mitspracherecht bei der Richtung die wir einschlagen oder bei anderen Entscheidungen, die wir als Quartett treffen.

MetalPfälzer: Wann werden wir PORCUPINE TREE das nächste mal live sehen? Und sind irgendwelche Festivals im Sommer geplant?

Colin Edwin: Wir haben vor im Frühjahr wieder unterwegs zu sein, um zum ersten mal Australien zu besuchen und nach Japan zurückzukehren. Weiterhin hoffen wir dem ein paar Sommer-Festivals in Europa folgen zu lassen, um dann im Herbst noch einmal in Europa zu touren, wo wir ein paar Ländern spielen wollen, zu denen wir 2007 nicht kamen. Hoffnungen ruhen auch darauf eine dieser Shows für ein angeplantes DVD-Release dokumentieren zu können, aber in dem Stadium ist noch eine Menge zu planen, wir werden also sehen.

MetalPfälzer: Was ist das größte Ziel, dass Du in Deiner Karriere noch erreichen möchtest?

Colin Edwin: Ich mag nicht ernsthaft an bestimmte erreichbare Ziele denken, es ist alles ein fortlaufender Prozess. Zur Zeit ist es eine stetig nach oben laufende Kurve in jeder Beziehung, frag mich das lieber in ein paar Jahren noch mal.

MetalPfälzer: Vielen Dank noch einmal für das Interview und alles gute für die Zukunft!

 

Alle Bilder von porcupinetree.com 

Submit to FacebookSubmit to Twitter
Anmelden