Manche Dinge brauchen leider etwas länger und so geht es der Welt mit dem angekündigten Abschiedsalbum des früheren MARILLION-Sängers. Das sollte in diesem Frühjahr erscheinen, dieses Interview als Promotion dazu. Doch sowohl ihm als auch mir kamen immer wieder Dinge dazwischen, so dass sich alles sehr lange hinzog. Nichtsdestotrotz hat der Mann viel zu sagen, was ich der Welt nicht länger vorenthalten will. NECKBREAKER traf einen gut aufgelegten und sehr redseligen FISH vor seinem Konzert in der Saarbrücker Garage. Nicht nur zur Musik hat der Mann eine klare Meinung, um die ging es eigentlich fast gar nicht. Wenn er auf manche Themen zu sprechen kam, änderte sich auch mal kurz die Laune und er redete sich in Rage. Bevor wir loslegten war mir allerdings unklar, wie ich ihn ansprechen sollte, bei seinem Künstlernamen oder seinem bürgerlichen. Ich wurde dann von ihm aufgeklärt, dass Derek der Gärtner und FISH der Musiker sei.
MetalPfälzer: So Fish, nachdem wir das mit dem Namen geklärt hätten, können wir gleich loslegen. Du bist auf Tour zum Album “Weltschmerz”, aber die Scheibe wurde bisher noch nicht veröffentlicht, was sind die Gründe dafür?
Fish: Wir waren lange mit “Feast Of Consequences“ auf Tour, die ja bis 2016 dauerte, im zweiten Teil der Tour war ja auch “Misplaced Childhood” ins Programm integriert. Die letzten Konzerte fanden im April statt und in Mai 2016 starb mein Vater. Ich wachte quasi erst acht Monate später aus dem Trauma wieder auf, ich konnte nie erahnen wie sehr mich das treffen würde. Ich konnte nicht mehr klar denken, arbeitete nur im Garten, funktionierte nur noch, um das Geschehene verarbeiten zu können.
Ende 2016 hatte ich eine schwere Rückenoperation, im März 2017 kam noch eine Schulteroperation dazu. Durch das alles war ich nicht in der Lage zu schreiben, ich schrieb Fetzen und ein paar Songteile, doch ich nicht richtig in einem Songwritingprozess involviert. Im Januar 2017 kamen mein Bassist Steve Vantsis und ich zusammen, der auf den letzten beiden Platten mein Co-Songwriter war. Er hatte eine Menge Ansätze, ich hatte eine Menge Ansätze, so dass wir genügend Grundlagen hatten, um die Songs zusammen zu fügen.
Wir schufen “Waverly Steps” und brachten eine Reihe Ideen für die Stories zu Papier, wir ließen es laufen und folgten der Geschichte. Wir hatten plötzlich Songs von fünfzehn Minuten, die wir dann wieder auf sechs bis sieben Minuten kürzen mussten. Wir hatten ja schon “Roses To Masques” von fünfzehn Minuten und “Market Garden”, der ungefähr zwischen zehn und fünfzehn Minuten hat.
Im Januar war dann klar, dass wir kein Album mit lediglich vier Titeln veröffentlichen können, wir müssen etwas viel größeres erarbeiten. Zu der Zeit kam Mark Wilkinson, der von Anfang an an all meinen Albumartworks beteiligt war, auf mich zu und meinte, dass er wegen familiärer Gründe ein paar Monate Auszeit nehmen müsste. Er könnte frühestens im September liefern und ich meinte, dass ich ohne ihn den Rest des Albums nicht fertig stellen würde.
Da kam mir gerade recht, dass sich James Cassidy bei mir meldete, der zwei meiner Alben produziert hat und jetzt für eine große Plattenfirma arbeitet Er schlug mir vor, mich mehr mit digitalen Medien und Streaming zu beschäftigen, was ich zuvor nicht tun wollte. Er entgegnete, dass ich andere Wege suchen müsste, meine Musik zu verbreiten, also stimmte ich zu. Da Mark ohnehin nicht verfügbar war, machte ich mich daran meinen kompletten Backkatalogdigital anzubieten, da ich ja schon vierzig oder fünfzig Minuten Musik hatte.
Als ich dann mit dem “Weltschmerz”-Album auf Tour ging, das noch gar nicht existierte, nahmen wir das Material auf und ich entschied mich dazu drei Lieder davon auf der “A Parley With Angels”-EP zu veröffentlichen. Damit gab ich den vielen Leuten die auf die Konzerte kommen, die Möglichkeit die Stücke vorher zu hören, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen. Es wäre nicht schön, diese Sachen live zu spielen, während die Fans keine Ahnung haben, was wir da machen.
Zur selben Zeit hatte ich wegen all dieser digitalen Itunes-Geschichten die Möglichkeiten als Independent-Label viel mehr Geld damit zu verdienen. Das half bei den Aufnahmen, denn plötzlich waren wir in der Lage in Doppel-Album zu machen, was ja auch die doppelte Summe im Studio kostet. Alles fügte sich zusammen, nun wird das Album hoffentlich 2019 erscheinen, wir treffen uns im April um den Rest der Nummern zu schreiben und aufzunehmen.
Deswegen sind wir an dem Punkt an dem wir nun mal sind, Anfang 2018 dachte ich noch, dass das Jahr ein Desaster werden würde, aber mein Produzent Callum Malcolm mochte die Idee auch erst mit den Stücken die wir live spielen heraus zu rücken und die Setlist ein wenig zu ändern. So werden die nächsten Sessions völlig anders werden, aber so passiert das eben alles.
MetalPfälzer: Und die neuen Songs kommen heute bei der Show zum Zuge?
Fish: Ja, wir spielen vier davon, die drei Stücke von “A Parley With Angels” dazu einen weiteren mit dem Titel “C Song”. Der wurde schon zuhause aufgenommen und wartet darauf fertig gestellt zu werden. Da kommen dann 35 bis 40 Minuten an neuem Material zusammen, was eine gute Balance zu den Songs von “Clutching At Straws” ist, dass wir ja auf der Tour zum letzten Mal spielen. Der Plan für nächstes Jahr ist, mit dem “Vigil In The Wilderness Of Mirrors”-Album auf Tour zu gehen. Da gibt es dann nur Sachen von “Weltschmerz” und eben “Vigil In The Wilderness Of Mirrors”, das wir möglicherweise komplett aufführen. Danach wird es nur noch die “Final Farewell”-Tour geben.
"Ich bin ein News-Junkie, meine Frau macht das noch verrückt, bei all dem, was auf der Welt passiert, das falsch läuft und einen hilflos zurück lässt!"
Ab und an wäre Abgrenzen die bessere Alternative
MetalPfälzer: “Weltschmerz” ist ein sehr ausdrucksstarker Titel, was für eine Bedeutung steckt dahinter?
Fish: In den letzten etwa drei Jahren wurde ich ein News-Junkie, es läuft immer irgendwo ein News-Sender bei mir im Haus. Meine Frau macht das noch verrückt! Ich hatte meine Augen schon immer dahin gerichtet, wo etwas passiert und das bewusst wahrgenommen. Doch in den letzten Jahren ging so viel vor in der Welt, dass man sich hilflos fühlt, weil so viel in die falsche Richtung läuft. Das fängt beim Brexit und Theresa May an, geht bei Donald Trump und weiterem Machtmissbrauch weiter, dazu die globale Erwärmung und die anderen Umweltthemen, und vor allem der Aufstieg von rechtsgerichteten Politikern. Es ist alles unser Planet und wir müssen uns bewusst machen, das das alles von vielen verschiedenen Faktoren in unserer Gesellschaft verursacht wurde. Es schadet vielen Leuten, auch wenn es nur wenige sind, die für die Probleme sorgen. Die Versuche das zu verstehen und zu verarbeiten, das ist “Weltschmerz”.
Ich kam mit dem Titel vor ungefähr zwei Jahren an, weil er eben die Hilflosigkeit ausdrückt. Ich wollte nie in die Politik gehen, wo man mit all den großen Konzernen, den Banken, Königinnen und Königen zusammen arbeiten muss, mich interessieren die Auswirkungen auf die Menschen. Das erste was ich schrieb war noch vor der Musik der Text zu “Little Man What Now”, der auf Hans Fallada basiert. Es geht um ein junges Paar in Deutschland 1933, welches in der Zeit der Rezession und dem Aufstieg populistischer Politiker lebt. Ich sah eine Parallele zur heutigen Zeit, davon können wir auch Geschichten erzählen.
”Men With A Stick” ist ein Lied über das Älterwerden wenn man so will. Junge Menschen empfinden den Stock des Lehrers als ein Symbol der Macht, ein Dirigent hat die Macht mit seinem Taktstock und wenn Du alt bist hängt Deine ganze Kraft, die Du noch besitzt an dem Gehstock. Insofern sehe ich den Stock als ein Symbol der Macht. In “Waverly Steps” geht es um männliche Depressionen, auch um Suizid, der in England fast Mode wird. Vor zwei Jahren haben sich jede Woche 85 Männer selbst getötet. Es ist fast eine Bewegung, da muss man dagegen angehen, Männer haben den ganzen Tag zu kämpfen, um nicht unterzugehen, dabei wird man nicht jünger.
Dann gibt es einen Song namens ”Market Garden” der von Demenz handelt, von einem Paar, das sich damit auseinandersetzen muss. Weitere in Arbeit befindlicher Track behandeln Zwangsheiraten junger Kinder und Autoaggressionen. All diese Themen sind sehr dunkel, aber sie werden in einer Art interpretiert, die hoffentlich sehr schön rüber kommt. Ich meine, “Waverly Steps” ist ein wunderschöner Song, aber er dreht sich um ein sehr düsteres Thema.
Ein weiteres Stück, welches wir auch heute Abend spielen werden heißt “C Song”, in dem es um Krebs geht. Es wird ein sehr dunkles Album, aber daher harmoniert es so gut mit “Clutching At Straws”. Es ist interessant wie gut sich die Songs, die wir spielen werden, sich so gut neben “Clutching At Straws” machen, das ja auch ein düsteres Werk ist.
MetalPfälzer: Es ist ja auch ein deutsches Wort, welches Dir durchaus geläufig sein sollte, schließlich lebst Du eineinhalb Stunden von hier....
Fish (fällt ins Wort): Nein, nicht mehr, ich lebe in Schottland! Meine Frau und ich haben im Oktober 2017 geheiratet und sie zog im Jahr davor rüber zu mir. Wir waren zu gleichen Teilen in beiden Ländern unterwegs, denn sie liebt Schottland, ich liebe Deutschland. Doch wir mussten das Hin und Her beenden und so überlegten wir, welches Land uns die besten Möglichkeiten bietet, um zu bleiben. Letzten Endes gaben mehrere Gründe den Ausschlag. Hätte ich mein Haus und mein Aufnahmestudio in Schottland verkauft, hätte ich keinen Kredit in Deutschland bekommen mir ein Haus zu kaufen. Ich bin schon zu alt, und hätte daher ein Haus auf einen Schlag bezahlen müssen.
Darüber hinaus waren die Häuser da wo wir leben wollten zu teuer und wir hätten eineinhalb Stunden weg ziehen müssen, um etwas günstiges zu finden Wir wollten einen großen Garten, meine Frau und ich lieben Gartenarbeit, wie haben jetzt einen Riesengarten. Und hätten wir ein passendes Haus gefunden hätte meine Frau eine Stunde entfernt von ihrem Sohn, meinem Stiefsohn ziehen müssen. Als Spitze des Ganzen ist da noch die Krankenkasse, die ich hätte bezahlen müssen, verstehst Du.
Wenn ich also endgültig nach Deutschland gezogen wäre, wir also ein Haus gefunden hätten, das uns gefällt und so gut ist wie das was wir haben, ich dann noch Krankenkassenbeiträge für mich und meine Frau hätte zahlen müssen, müsste ich weiter auf Tour gehen, ich müsste weiter arbeiten. In Schottland ist die Gesundheitsversorgung frei, auch die Erziehungseinrichtungen. Wir leben in einer tollen Gegend in Schottland, mit einem Haus, das perfekt für uns ist, darum sind wir nach Schottland gezogen.
Aber im Moment wissen wir nicht, was in zwei Jahren passiert, wie Du weißt kommt der Brexit, (grummelt nun ein bisschen vor sich hin), das geht mir so auf den Sack. Ich setze meine Hoffnungen aber weiterhin auf Schottland, denn sie haben mit 62% für den Verbleib in der EU gestimmt. Morgen wird es eine Bekanntmachung der Regierung geben, wie der Deal mit der EU aussehen wird (darauf warten wir auch noch heute – Anm. d. Redakteurs). Wenn der Deal schlecht ausfällt, werden die schottische Regierung und das schottische Parlament das nicht hinnehmen und ein neues Unabhängigkeitsreferendum fordern.
Im ersten Referendum sagte Westminster zu uns, dass wir auch die EU verlassen, wenn wir das Vereinte Königreich verlassen Deswegen votierten 62 % beim Brexitreferendum auch für den Verbleib und dann sagen uns die Engländer, dass wir die EU verlassen müssen. Dabei wollen wir das gar nicht! Deswegen wollen wir eine zweite Abstimmung, in der wir das schottische Volk fragen werden, ob sie im UK oder der EU bleiben wollen.
Ich hoffe die Schotten treffen diese Entscheidung, denn unser Land braucht die Mitgliedschaft in der EU. Wir brauchen die Migration, wir brauchen, wir brauchen die Verbindungen, den freien Handel und all die Dinge. Wenn Schottland also unabhängig wird und in der EU bleibt und England draußen, was passiert dann? Dann ziehen die Finanzzentren nach Edinburgh, die Autoindustrie und es wird in England eine große Leere geben.
Ich kann absolut nichts Positives am Brexit erkennen. Das ist alles eine große Lüge, die Leute, welche die Kampagne zum Austritt gestartet haben, haben uns angelogen. Als sie uns erzählt haben, dass wir 350 Millionen, die wir wöchentlich an die EU zahlen einsparen werden, war das eine Riesenlüge. Leider glaubten die Menschen diese erdachten Zahlen, deswegen wünsche ich mir ein neues Referendum. Das ist eine einzige Verarsche, das ist eine Riesenverarsche, es kostet uns Millionen über Millionen Pfund an Anwaltskosten und die ganzen verdammten Berater, das ist so dumm. Großbritannien ist kein Imperium mehr, es ist eine kleine Insel vor der Küste Europas und wir brauchen einander.
"Beim ersten Referendum sagten uns die Engländer, dass wir auch aus der EU raus sind, wenn wir das Vereinte Königreich verlassen, und dann gehen sie selbst aus der EU!"
Der Mann fühlt sich zurecht verschaukelt
MetalPfälzer: Als das Wichtigste an der EU sehe ich vor allem die Sicherung des Friedens, es gab seit dem zweiten Weltkrieg keinen Krieg mehr in Mitteleuropa.
Fish: Die EU ist nicht perfekt, das sollte klar sein! Es muss an vielen Punkten gearbeitet werden, die falsch laufen. Der Verteilungsschlüssel, wer wie viel Geld bezahlt, die vielen Gebote und Vereinheitlichungen, da muss nachgebessert werden. Aber Du änderst es nicht von außen, Du kannst es nur von innen heraus ändern, verstehst Du. Dann kommt da noch der Aufstieg der populistischen Parteien dazu, die die Wünsche der Bürger verkaufen. Schau Dir den Aufstieg der AfD an, oder Front National, das ist gefährlich.
Der Grund warum das alles passiert, ist die Unentschlossenheit der Regierungen. Da gibt es auch zu viele Skandale, die ihrer Arbeit nur schaden und der größte ist, dass niemand aufsteht, um den großen Unternehmen die Stirn zu bieten. Man nehme nur Starbucks oder Amazon, die ganzen verdammten riesigen Konzerne, im UK schafft man es nicht, dass sie Steuern bezahlen, in der EU schafft man es auch nicht. Im Endeffekt wäre das soziale Netz viel besser, wenn sie die Steuern, die sie in den Ländern, in denen sie auch ihr Geld machen bezahlen müssten, auch würden.
Es ist genauso wie mit den Populisten, die gegen Migranten mobil machen. In Deutschland ebenso wie in Schottland haben die Menschen Angst, dass die hierher kommen und Jobs wollen, konsumieren wollen, Geld und Kinder bekommen wollen. Grundsätzlich haben wir nicht genug in den folgenden Generation, um alles aufrecht zu erhalten und Steuern zu zahlen, damit auch die alten Leute versorgt sind. Jemand muss die Arbeit machen, die Organisation, und wenn wir sie bezahlen, können sie davon auch Steuern bezahlen. Wenn man sie ins System integriert, können sie dieses auch mittragen.
Sie draußen zu lasen ist nicht der Weg nach vorne, wir müssen sie herein holen und in unsere Zivilisation integrieren. Nimm das Sicherheitsargument, es ist doch so, dass Großbritannien und die USA diese verdammten Probleme überhaupt erst geschaffen haben. Durch den Einmarsch und die Bombardierung des Irak wurde die ganze Krise im mittleren Osten ausgelöst, das wurde so schlimm, weil wir verdammt nochmal dazu beigetragen haben. Und diese Leute, die fliehen sind keine Terroristen, es sind Menschen wie Du und ich, die auf der Suche nach einem Zuhause weit weg von einem Kriegsgebiet sind. Weg von den Leuten, die sie foltern, weg von den Leuten, die sie töten wollen. Nur weil wir da unten diese Anarchie angezettelt haben.
Wir müssen ihnen helfen, und sie bei uns aufzunehmen ist ein Weg das zu tun. Doch dann kommen immer wieder diese Rechten daher und beschuldigen die Leute als Terroristen. Dabei kommt das Problem auf einem ganz anderen Weg zu uns, nimm doch als Beispiel nur Amerika, wo viele Soldaten mental instabil sind und noch mehr Schaden verursachen als Terroristen. Nimm doch nur die Schießerei in Kalifornien, das war ein ehemaliger Soldat, der durch das Netz fiel, der keine Unterstützung hatte. Die ganzen Anschläge, auch in London, das sind alles Täter, die mental krank sind. Und was ist das in Deinen Augen? Genau das ist „Weltschmerz“!
MetalPfälzer: Da sprichst Du gerade ein wichtiges Thema an. Ich kam erst heute Morgen von einer fünfwöchigen Kur in einer psychosomatischen Klinik nach Hause.
Fish: Tatsächlich? Mit Depressionen?
MetalPfälzer: Eher Mobbingerfahrungen, Überantrieb, Selbstwert – und Aggressionsstörungen. Daher kann ich Dir nur zustimmen, bei den ganzen Gesprächen mit Mitpatienten über ihre Geschichte begegnete mir viel „Weltschmerz“.
Fish: Man muss ja auch sehen, wie viel uns diese Krankheiten kosten, die wir ja auch durch unser Tun verursachen. Wenn Du in einer Klinik bist, bekommst Du Medikamente, die die Seelenqualen lindern, du bekommst auch Betreuung, welche sich Deiner annimmt. Aber diese ganze Hilfe kostet einiges und eine Gesellschaft muss sich das erst einmal leisten können.
Deswegen baue ich auf ein unabhängiges Schottland, denn wir nehmen diese ganzen mental verletzten wahr, es gibt Kampagnen, die Hilfe anbieten und auch vorbeugen wollen. Schau Dir nur unsere Kinder an, unter welchem Druck die heute leben. Ich habe eine 27-jährige Tochter, ich kann das Stress-Level sehen, unter dem sie leidet, sie lebt in London und wird dort fast verrückt. Sie wurde sehr deprimiert durch die ganzen Kämpfe, die Du heute austragen musst. Menschen, die oft verletzt wurden sollten nicht so oft in solche Situationen kommen, sie brauchen mentale Sicherheit.
Man wird von der Angst angefressen und wenn man ständig Angst hat, reagiert man unberechenbar. Dann wählt man eben Parteien, die einem viel versprechen, die aber nur diese sozialen Ängste schüren und sie benutzen einen ins Boot zu holen. Das gilt auch für Donald Trump, der die Menschen hinter einer Mauer hausen lassen will, und erzählt es wären Terroristen. Die meisten Menschen in südamerikanischen Ländern werden doch von korrupten Regierungen verarscht. Die werden von den großen Konzernen manipuliert, weil die deren Ressourcen wollen, so gelangt das Geld nicht zu den Leuten. Wir brauchen viel mehr soziale Gesetzgebung, die deren Macht einschränkt.
MetalPfälzer: Nochmal zurück zur Migrationsthematik. Bei Deinem letzten Konzert hier in der Garage hast Du vor „The Pilgrim´s Adress“ eine Ansprache gehalten. Darin hast Du fast das selbe erzählt wie mir jetzt, dass viele die Migranten als Terroristen sehen, obwohl sie vor dem IS fliehen. Daraufhin applaudierte Dir der ganze Saal, gab es auch mal negative Reaktionen auf solche Worte?
Fish: Ja, natürlich gab es Leute, die ich mir gegenüber so verhielten. Ich war zwar ziemlich geschockt, aber ich kann auch nicht erwarten, dass alle Leute der gleichen Meinung sind wie ich. Aber ich denke, diese Leute haben aufgehört darüber nachzudenken, was sie lesen. Mit dem Internet ist es heutzutage viel zu einfach, Menschen nehmen alles für bare Münze ohne sich damit zu beschäftigen.
Ich lese nicht nur eine Zeitung, ich lese oft drei um mir meine Meinung bilden zu können, da sind Guardian, Independent oder das Scotch National Paper dabei. Ich lese auch die Times, die ja pro Torries ist, also sehr konservativ. Doch ich glaube nicht nur stumpf was ich lese, ich will meinen eigenen Weg finden. Vor langer Zeit lernte ich, dass oft über Geschehnisse berichtet wird, um diese überhaupt erst zu ermöglichen. Da nutzt es die Zeitung auch mal bis zum Ende zu lesen, um zu wissen, wohin das politische Wetter zieht.
MetalPfälzer: Es ist das zweite Mal, dass Deine Tour unter dem Motto „Clutching At Straws“ steht. Warum dieses Album, denn andere MARILLION-Werke hast Du nie komplett auf die Bühne gebracht?
Fish: Also bei der Tour vor zehn Jahren haben wir nicht das ganze Album gespielt, sondern nur viele Songs davon. Ich fühle diese Songs mehr, auch wenn wir schon auf den ersten beiden Alben tolle Stücke hatten. „Fugazi“ liebe ich immer noch und bringe es oft, „Forgotten Sons“ ist auch ein starkes Lied oder auch „Script For A Jester´s Tear“. Die nehme ich dann auch heraus, aber „Clutching At Straws“ und „Misplaced Childhood“ ergeben sich erst in ihrer Gesamtheit. Das sehe ich nicht beim „Scrpit For A Jester´s Tear“ - oder „Fugazi“-Album, die kommen dann wieder bei einer Best Of-Tour zum Zuge, da wird es von allem etwas heraus gepickt.
"Es wird nie eine MARILLION-Reunion geben!"
Mit wenigen Worten kann man auch viele Hoffnungen zerstören
MetalPfälzer: Was ich vom neuen Album gehört habe, ist es „Clutching At Straws“ recht ähnlich, präsentierst Du sie deswegen gemeinsam?
Fish: Nicht unbedingt ähnlich, es herrschen eher die selben Vibes. Es hat diese wunderschöne melancholische Dunkelheit, die auch „Clutching At Straws“ besaß. Die Scheibe wurde einst auf Tour geschrieben, es handelt von Problemen, Isolation und allem was durch Drogen und Alkohol passieren kann. Es sind einfach Gemütszustände, die nur zustande kamen weil wir eine lange Zeit unterwegs waren und keine Beziehung zueinander hatten, die förderlich war.
MetalPfälzer: Wo wir gerade beim Thema MARILLION sind, jetzt wo das Ende Deiner Karriere als Liveperformer naht, denkst Du da vielleicht über ein paar gemeinsame letzte Shows nach?
Fish: (wie aus der Pistole geschossen) Nein!
MetalPfälzer: Habt ihr überhaupt noch Kontakt miteinander?
Fish: (sehr bestimmt) Ja, aber es wird trotzdem keine verdammte Reunion geben! Sie wollten die Noten der Lieder ändern, wenn sie das möchten bitte schön. Ich singe die alten Sachen sicher auch nicht mehr so wie damals, aber wenn ich schon einen neuen Sänger suche, dann sollte ich nicht die Noten ändern müssen. Steve Rothery nahm den Sänger einer Tribute-Band, da sollte man das erwarten, doch selbst er bringt es nicht ganz. Ein Freund, der eine Soloshow gesehen hat, erzählte mir dass er einen Harmonizer benutzt, um die hohen Noten zu erreichen. Die Alben sind dreißig Jahre her, da kann man niemals mehr die Stimme haben, über die ich einst verfügte. Ich bin sechzig Jahre alt, ich kann die alten Sachen nicht mehr in diesen Tonlagen singen.
Ich bin ziemlich glücklich, ich bin zufrieden mit meiner Karriere, ich habe mit den Jungs gearbeitet, wir haben immer noch Kontakt, wir sind immer noch Freunde. Wir haben an „Clutching At Strwas“ über ein Jahr gearbeitet und wenn ich mir in Erinnerung rufen will, warum ich die Band seinerzeit verlassen habe, dann kommen mir die drei Monate in den Sinn, in denen wir das ganze Material zusammen getragen haben. Ich war derjenige, der die Dinge voran getrieben hat, doch keiner war mit den Beiträgen des anderen zufrieden. Ich bin nicht mehr in der Band, wir sind immer noch Freunde, aber es gibt nicht die geringste Chance auf eine Reunion.
MetalPfälzer: Gut, kommen wir zu einem gemeinsamen Hobby von uns, der Gärtnerei. Was inspiriert Dich zu der Gartenarbeit?
Fish: Vor vielen Jahren als Abiturient war Biologie ein Hauptfach von mir in der Schule, Biologie, Geschichte und Englisch waren meine drei Schwerpunkte. Als mich 2001 meine erste Frau verließ und ich ins Studio ein paar Häuser weiter ziehen musste, riet mir ein Freund dazu als Therapie. Meine Frau zog dann mit meiner Tochter weg nach Berlin, es war eine sehr schmerzvolle Zeit, ich musste mich echt auffangen.
Ich hasse Beton also musste ich als Ausgleich einen Garten gestalten. Ich lag nachts im Bett und träumte wie er aussehen sollte, wo der Rasen hinkommt und all diese Dinge, also legte ich einen kompletten Garten nach und nach genauso an. Man wächst in die Dinge hinein, man lernt und lernt und macht natürlich Fehler, die man eben so macht. Meine jetzige Frau liebt auch das Gärtnern, das brachte uns zusammen. Wir fahren nicht in Urlaub, wir verbringen diese Zeit im Garten.
Ich habe all die Kürbisse gegessen, all den Kohl, meine Frau verspeist lieber die Karotten, ebenso der Mann der für uns arbeitet. Und die ganzen Äpfel jage ich durch den Häcksler und mache daraus Apfelsaft und Cider. Das ist eine großartige Therapie, es ist ein tolles Gefühl, die Samen auszusäen, zu sehen wie alles wächst, sich darum zu kümmern und die Ernte davon zu essen. Wenn wir alles einlagern würden, könnten wir möglicherweise das ganze Jahr von dem Gemüse aus unserem Garten leben.
Das ist etwas, dass ich tun möchte, wenn ich in Rente bin, mich auf die Gartenarbeit freuen, im Garten zu sitzen und vielleicht ein Buch schreiben oder ein Theaterstück. Und wenn ich Musik spielen will, nehme ich mir einen Gitarristen und einen Keyboarder und organisiere zehn Shows und mach etwas Geld am Theater. Das ist alles was ich tun will, ich will kein Millionär sein, da habe ich kein Verlangen danach.
Ich fühle mich ja schon schuldig, wenn ich mir ein neues Auto kaufe, den letzten hatte ich vierzehn Jahre, den habe ich auch nur nicht mehr, weil er irgendwann kaputt ging. Ich habe einen sehr einfachen Lebensstil, meine Frau und ich gehen den Hibernians Fußballclub auf unseren Sitzplätzen schauen, die Tickets für Hibernians sind womöglich das teuerste, was wir überhaupt besitzen.
MetalPfälzer: Ja, Deine Liebe zu Hibernians Edinburgh ist ja hinlänglich bekannt. Wo wir gerade beim Garten waren, ich habe Dir auch noch etwas mitgebracht, Samen vom deutschen Speisekürbis.
Fish: (mit kindlicher Freude) Wow, cool! Danke! Was für eine Sorte Kürbis ist es?
MetalPfälzer: Klassischer deutscher Speisekürbis, ich hatte zwei sehr große im letzten Jahr und meine siebenjährige Tochter höhlte ihn komplett aus für Halloween, so dass wir jetzt viele Samen haben.
Fish: Wir hatten zwei verschiedene Sorten Kürbisse in diesem Jahr, aber sie waren nicht so groß, die Trockenheit war echt ein Problem. Das interessante ist ja auch der unterschiedliche Geschmack, da bin ich mal auf die gespannt. Danke vielmals!
MetalPfälzer: Bitte sehr, war mir eine Ehre! Auf gutes Gelingen! Von meiner Seite war es das auch mit den Fragen, vielen Dank nochmal für das Interview, wir sehen uns später an der Bühne.
Fish: Ja klar, genieße die Show!